Die Ordnung der Welt

Ein kleiner Junge kam zu seinem Vater und wollte mit ihm spielen. Der aber hatte keine Zeit für den Jungen und auch keine Lust zum Spiel. Also überlegte er, womit er den Knaben beschäftigen könnte. Er fand in einer Zeitschrift eine komplizierte und detailreiche Abbildung der Erde. Dieses Bild riss er aus und zerschnipselte es dann in viele kleine Teile. Das gab er dem Jungen und dachte, dass der nun mit diesem schwierigen Puzzle wohl eine ganze Zeit beschäftigt sei. Der Junge zog sich in eine Ecke zurück und begann mit dem Puzzle. Nach wenigen Minuten kam er zum Vater und zeigte ihm das fertig zusammengesetzte Bild. Der Vater konnte es kaum glauben und fragte seinen Sohn, wie er das geschafft habe. Das Kind sagte: „Ach, auf der Rückseite war ein Mensch abgebildet. Den habe ich richtig zusammengesetzt. Und als der Mensch in Ordnung war, war es auch die Welt.“


 


 


 

Die drei Mäntel

Am Strand des Meeres wohnten drei alte Mönche. Sie waren so weise und fromm, dass jeden Tag ein kleines Wunder für sie geschah. Wenn sie nämlich morgens ihre Andacht verrichtet hatten und zum Bade gingen, hängten sie ihre Mäntel in den Wind. Und die Mäntel blieben im Wind schweben, bis die Mönche wiederkamen, um sie zu holen. Eines Tages, als sie sich wieder in den Wellen erfrischten, sahen sie einen großen Seeadler übers Meer fliegen. Plötzlich stieß er auf das Wasser herunter, und als er sich wieder erhob, hielt er einen zappelnden Fisch im Schnabel. Der eine Mönch sagte: „Böser Vogel!“ Da fiel sein Mantel aus dem Wind zur Erde nieder, wo er liegen blieb. Der zweite Mönch sagte: „Du armer Fisch!“ – Und auch sein Mantel löste sich und fiel auf die Erde. Der dritte Mönch sah dem enteilenden Vogel nach, der den Fisch im Schnabel trug. Er sah ihn kleiner und kleiner werden und endlich im Morgenlicht verschwinden. Der Mönch schwieg – sein Mantel blieb im Winde hängen.


 


 


 

Binde dein Kamel an

Mit ihren Kamelen zogen ein Meister und sein Schüler durch die Wüste. Die Sonne ging schon unter, als sie mit ihren erschöpften und durstigen Tieren eine Oase erreichten. Bevor die Reisenden in die Moschee zum Abendgebet gingen, trug der Meister dem Schüler auf, die Kamele zu versorgen. Als sie am nächsten Morgen weiterziehen wollten, waren die Kamele nicht mehr aufzufinden. ,,Was hast du mit den Kamelen gemacht, warum sind sie nicht an ihrem Platz?“ fragte der Meister. ,,Ich habe sie in Allahs Hände gegeben, damit er für sie sorge!“ gab der Schüler zur Antwort. Erzürnt erwiderte der Meister: ,,Binde erst dein Kamel an, und dann bete zu Allah. Denn Allah hat keine anderen Hände als deine!“


 


 

Glück

Ein Mann sprach zu Buddha: ,,Ich will Glück!“ – Buddha antwortete darauf: ,,Streiche zunächst einmal das 'Ich' aus dem Satz, das ist bloß das Ego… und dann streiche 'will', denn das ist das Verlangen – und übrig bleibt das 'Glück'…“


 


 


 

Von der Last des Lebens

Ein alter Beduine war krank und zweifelte am Sinn des Lebens.
Eines Tages kam er in einer Oase an einem jungen, noch kleinen Palmenbaum vorbei. Frustriert und deprimiert wie er war, nahm er einen dicken Steinbrocken und legte ihn der jungen Palme mitten auf die Blattkrone und dachte gehässig: ,,Soll auch sie sehen, wie sie damit fertig wird.“ Die junge Palme versuchte, die Last abzuwerfen. Sie wiegte sich im Wind und schüttelte ihre jungen Wedel. Doch – vergebens. Also begann sie, tiefer und fester in den Boden zu wachsen, um stärker und kräftiger zu werden. Und wirklich: ihre Wurzeln erreichten neue Wasseradern. Die Kraft des Wassers aus der Tiefe und die der Sonne vom Himmel machten sie zu einer außerordentlich starken Palme, die auch den Stein im Weiterwachsen mittragen konnte. Nach Jahren kam der alte Beduine wieder, um nach dem Baum zu sehen. Da sah er eine besonders hochragende Palme und in der Krone trug sie den Stein.
Und wie sie sich im Wind neigte, schien sie ihm zu sagen: ,,Ich muss dir danken! Die Last hat mich über meine Schwäche hinauswachsen lassen.“

 

 

 

 

Gott und Mensch

Ein Weiser wurde gefragt, ob der Weg von Gott zum Menschen oder vom Menschen zu Gott führe. Er antwortete: Beides ist falsch. Der Weg führt von Gott zu Gott.

 

 

 

 

Die zwei Wölfe

Ein alter Indianer saß mit seinem Enkelsohn am Lagerfeuer. Es war schon dunkel geworden und das Feuer knackte, während die Flammen in den Himmel züngelten. Der Alte sagte nach einer Weile des Schweigens: „Weißt du, wie ich mich manchmal fühle? Es ist, als ob da zwei Wölfe in meinem Herzen miteinander kämpfen würden. Einer der beiden ist rachsüchtig, aggressiv und grausam. Der andere hingegen ist liebevoll, sanft und mitfühlend.“ „Welcher der beiden wird den Kampf um dein Herz gewinnen?“ fragte der Junge. „Der Wolf, den ich füttere.“ antwortete der Alte.

 


 


 

Es geht vorüber

Ein Schüler kam zu seinem Lehrer und sagte: „Meine Meditationen sind furchtbar. Ich bin dauernd abgelenkt, denke an alles Mögliche, meine Glieder tun weh und ich schlafe immer ein.” Der Lehrer antwortete schlicht: „Das geht vorüber.”
Eine Woche später kam der Schüler wieder und sagte: „Meine Meditationen sind herrlich, ich bin total klar, konzentriert und im Frieden.” Der Lehrer antwortete schlicht: „Das geht vorüber.”


 


 


 

Der Asket

Es war einmal ein Asket. Der saß schon seit Wochen meditierend in einer Höhle. Eines Tages kam eine kleine Maus vorbei und begann damit, am Schuh des Asketen zu nagen. Ärgerlich löste er sich aus der Meditation und fragte: ,,Warum störst du mich, Maus?“ ,,Ich habe Hunger“ sprach die Maus. „Du dummes Tier! Ich suche die Einheit mit Gott und du störst mich wegen deines Hungers. Verschwinde.“ Da fragte die Maus: ,,Wie willst du dich wohl mit Gott vereinigen, wenn du nicht einmal mit mir einig wirst?“


 


 


 

Der Zen-Meister

Ein Schüler fragte Zen-Meister Philip Kapleau. ,,Was kann ein Zen-Meister mir geben?“ Kapleau antwortete: ,,Er kann dir nichts geben, was du nicht schon hast, aber er kann dir vieles nehmen, was deiner wahren Natur fremd ist“.


 


 


 

Der König und seine drei Söhne

Es war einmal ein König, der hatte drei Söhne. Als er sich Gedanken darüber machte, wer von den dreien am besten geeignet wäre, ihm auf den Thron zu folgen, hatte er eine Idee. Er befahl seinen drei Söhnen, die Pferde zu satteln, sich mit Pfeil und Bogen zu bewaffnen und ihn auf einem Jagdausflug zu begleiten. Am Rande eines offenen Feldes hielt der König an. In einiger Entfernung, hockte ein Geier auf einem Baum. „Ich möchte, dass du den Geier erlegst“, sagte der König zu seinem ältesten Sohn. „Aber zuerst sollst du mir sagen, was du hier siehst.“ Der älteste Sohn wunderte sich und sagte: „Was ich sehe? Ich sehe das Feld und den Himmel und die Wolken und einen Fluss in der Ferne und…“ „Genug!“ unterbrach ihn der König, wandte sich an seinen zweiten Sohn und forderte ihn auf, den Geier abzuschießen. „Aber sage mir zuerst, was du siehst!“ Der zweite Sohn ließ den Bogen sinken und sagte: „Nun, ich sehe hier unsere drei Pferde, den Weg, ein offenes Feld mit einem toten Baum, auf dem ein Geier sitzt.“ „In Ordnung“, sagte der König, „du brauchst nicht zu schießen!“ Und er wandte sich nun seinem jüngsten Sohn zu. „Schieße den Geier ab, aber sage mir zuerst, was du siehst!“ Der jüngste Sohn spannte den Bogen, zielte mit dem Pfeil und sagte ganz ruhig: „Ich sehe den Punkt, an dem der Flügel am Rumpf ansetzt…“ dann ließ er den Pfeil fliegen und der Geier fiel tot aus dem Baum. Der jüngste Sohn erbte das Königreich.


 


 


 

Der König und der Bettler

Auf einem Rundgang durch seine Hauptstadt begegnete der König einem Bettler. „Wenn Du mir etwas geben willst“, sagte der Bettler zum König, „dann musst du dich an meine Bedingung halten“. Der König war verblüfft. Er kannte viele Bettler, aber einer, der ihm Bedingungen stellen wollte, war ihm noch nie begegnet. Er schaute dem Mann in die Augen und spürte, dass er eine starke Ausstrahlung hatte. Merkwürdig! Dieser Bettler hatte Power und Charisma. Tatsächlich war der Bettler gar kein Bettler, sondern ein Sufi-Mystiker, aber das ahnte der König nicht. „Was meinst du mit »Bedingung«?“ fragte der König und der Bettler antwortete: „Ich nehme dein Almosen nur an, wenn es dir gelingt, meinen Bettelnapf bis zum Rand zu füllen.“ Der König glaubte, sich verhört zu haben. Der Bettelnapf war klein. Wollte sich der Bettler über ihn lustig machen? „Wie kommst du denn auf die Idee, dass ich deinen kleinen dreckigen Bettelnapf nicht voll kriege!“ fragte der König scharf. „Ich bin doch kein Bettler, so wie du!“ Der Bettler lächelte und sagte: „Es ist besser, wenn ich dich warne, bevor du es versuchst und vielleicht Probleme kriegst.“ Was zum Teufel bildete sich dieser Bettler ein? Der König war neugierig und wütend geworden. Er befahl seinem Wesir: „Mach diesen Bettelnapf voll!“ Der Wesir eilte in den Palast, kehrte nach ein paar Minuten mit eine Tasche voller Edelsteinen zurück und warf sie in den Bettelnapf. Da passierte etwas merkwürdiges: Die Edelsteine verschwanden in dem Bettelnapf so schnell, wie der Wesir sie hineinwarf! „Weiter!“ rief der König. „Mehr!“ Er war außer sich vor Erstaunen und Wut. Er wollte um keinen Preis in der Welt nachgeben und dem Bettler einen Triumph gönnen. Der Wesir eilte in den Palast zurück und holte mehr Edelsteine. Aber auch sie verschwanden in dem Napf des Bettlers. Jetzt verlor der König seinen Verstand. Er war bereit, sein ganzes Königreich aufs Spiel zu setzen. Der Bettler durfte einfach nicht gewinnen! „Mehr!“ schrie er und der Wesir eilte davon und holte mehr Edelsteine, immer mehr, bis die Schatzkammer leer war. So verschwand das ganze Vermögen des Königs und der Staatsschatz in dem kleinen Bettelnapf. Und am Ende war der König genau so arm wie der Bettler. Jetzt endlich kam der König wieder zur Vernunft. Er verbeugte sich vor dem Bettler. „Ich habe dich beleidigt“, sagte er. „Bitte vergib mir. Und bevor du gehst, verrate mir bitte das Geheimnis deines Bettelnapfes. Wie kommt es, dass alle meine Schätze in ihm verschwunden sind?“ Der Bettler lachte und sagte: „Ich habe den Napf aus dem gleichen Stoff gemacht, aus dem das menschliche Ego gemacht ist. Das Ego kann nie genug kriegen. Was immer du ihm gibst – es verschwindet. Es ist nie erfüllt.“


 


 


 

Zum Leben erwacht

Eine Legende erzählt, daß Buddha nach seiner Erleuchtung einen Spaziergang über die Felder machte und unterwegs einem Bauer begegnete. Dieser war beeindruckt vom Licht, das vom Meister ausging. ,,Mein Freund, wer seid ihr?" fragte er. ,,Ich habe nämlich das Gefühl, vor einem Engel oder einem Gott zu stehen". ,,Ich bin nichts dergleichen", entgegnete Buddha. ,,Was aber macht, daß ihr so anders als die anderen seid, daß sogar ein einfacher Bauer wie ich imstande ist, dieses Licht zu bemerken?" ,,Ich bin nur jemand, der zum Leben erwacht ist, während die anderen schlafen. Nichts weiter. Dies sage ich allen, aber niemand glaubt mir." ,,Was bedeutet 'zum Leben erwachen' ?" ,,Es bedeutet, jedem einzelnen Augenblick Beachtung zu schenken, nicht mehr und nicht weniger. Nichts gibt dem Menschen mehr Freude. Der Tag ist in Millionen von Augenblicken aufgeteilt, und wer sich auf die Gegenwart konzentriert, wird am Ende das gleiche Licht ausstrahlen wie ich." ,, Ein Bauer wird das nicht können." ,,Den heiligen Männern gelingt es, und sie sind Menschen wie du. Bemühe dich ein wenig, und du wirst wie diese heiligen Männer und Meister sein, die im Himalaya leben." Der Bauer fuhr fort: ,,Ich bemühe mich, die Götter zu achten, aber in meiner Familie gibt es immer irgendein Problem, das mich davon abhält, mich zu konzentrieren." Buddha trat zu ihm und gab ihm, ohne daß es einen Grund dafür gab, eine Ohrfeige. Der Bauer erschrak. ,,Hast du diese Ohrfeige verdient?", fragte der Erleuchtete. ,,Selbstverständlich nicht. Seit ihr hier seid, habe ich mich demütig verhalten und sogar das Licht erkannt, das ihr ausstrahlt." ,,Warum aber hast du nichts getan, um sie zu verhindern?" ,,Weil ich nicht schnell genug reagiert habe." ,,Die Probleme, die wir in unseren Familien oder bei unserer Arbeit haben, sind nur dazu da, uns beizubringen, schnell zu reagieren. Wer diese einfache Lektion nicht lernt, den beherrscht das Leid, und er wird die Götter niemals so ehren können, wie sie es verdienen." ,,Ich versuche immer auf die bestmögliche Art zu reagieren, aber das Leben eines gemeinen Mannes ist anders, und ich glaube, ihr versteht mich nicht richtig. Ich werde Euch ein Beispiel geben: Jedes Mal, wenn ich auf den Markt gehe, um zu verkaufen, was ich geerntet habe, treffe ich dort auf einen Händler der versucht, mich zu beleidigen. Neulich konnte ich es nicht mehr ertragen und habe ihm den Regenschirm auf den Kopf gehauen. Doch ich schäme mich, daß mein Herz so voller Haß ist." ,,Du hast falsch gehandelt, indem du ihn gehaßt hast", sagte Buddha lächelnd. ,,Wenn er dich das nächste Mal beleidigt, versuche dein Herz mit Güte zu füllen. Und schlage ihm wieder mit dem Regenschirm auf den Kopf, denn das scheint die einzige Sprache zu sein, die er versteht." Buddha wollte daraufhin weitergehen. Doch der Bauer bat ihn, noch einen Augenblick zu bleiben: "Seht diese Bäume an. Seht diese Vögel am Himmel an. Immer, wenn ich auf dem Feld arbeite, sehe ich, wie sie in vollkommenem Einklang mit der Natur sind. Sie haben ihren Platz im göttlichen Plan gefunden. Ich aber muß mein Brot sauer verdienen. Warum behandeln die Götter die Vögel und die Bäume so viel großzügiger?" ,,Weil ein guter Vater von seinem Lieblingssohn immer mehr fordert." ,,Könntet ihr nicht wenigstens eine Nacht in meinem Haus verbringen, damit Ihr mich ein wenig besser versteht?" ,,Was würde geschehen, wenn ein Bauer die Erde immer stärker düngt?", fragte der Erleuchtete. Der Bauer erklärte, daß die Ernte im ersten Jahr ausgezeichnet sein würde. Im zweiten Jahr würde sie sogar noch reichlicher ausfallen, aber das Getreide seinen Glanz verlieren. ,,Und wenn du im Jahr darauf noch mehr Dünger verwenden würdest, dann könntest du im dritten Jahr nichts Rechtes mehr ernten, nicht wahr? Unsere Unterhaltung war lang und hat wichtige Themen berührt. Versuche, dich an sie zu erinnern, das reicht. Wenn du jemandem ein wenig hilfst, stärkst du ihn. Aber hilfst du ihm zu viel, schwächst du ihn."


 


 


 

Der Ziegelstein

Ein Schüler bemühte sich und gab sich der Meditation hin um die Wahrheit heraus zu finden. Tag um Tag verbrachte er daher schweigend, in Meditationshaltung. Eines Tages fragte ihn der Meister:„Sag, was machst du da die ganze Zeit?“ „Ich will zum Buddha werden“, erwiderte der Schüler. Nach einigen weiteren Tagen nahm der Meister, jedes mal wenn der Schüler sich zur Meditation hinsetzte, einen Ziegelstein vom Boden und begann ihn mit Bürste, Seife und Wasser zu schrubben. Nach anfänglichem Ignorieren fragte der Schüler irgendwann erstaunt: „Meister, was macht Ihr da?“ Der Meister antwortete: „Ich will den Ziegel so lange reinigen, bis ein klarer Spiegel daraus wird in dem ich mich erkennen kann.“ Erstaunt fragte der Adept:„Wie kann denn durch Reinigen aus einem Ziegelstein ein Spiegel werden?“ Da fragte der Meister zurück: „Und wie kann durch bloßes Sitzen aus dir ein Buddha werden?“


 


 


 

Das wandelnde Lexikon

Juin, ein Shingon-Meister, war ein berühmter Sanskrit-Gelehrter der Tokugawa-Zeit. Als er jung war, pflegte er seinen Mitstudenten Unterricht zu geben. Seine Mutter hörte davon und schrieb ihm einen Brief: "Sohn, ich glaube nicht, dass Du ein liebender Verehrer des Buddha wirst, da es Dich danach verlangte, ein lebendes Lexikon für andere zu sein. Es gibt kein Ende der Informationen und der Kommentare, des Ruhmes und der Ehre. Ich wollte, Du würdest mit diesem Unterrichtsgeschäft aufhören. Schließ dich in einen kleinen Tempel an einem abgelegenen Ort in den Bergen ein. Widme deine Zeit der Meditation und erlange auf diesem Weg die wahre Verwirklichung."


 


 


 

Der erste Ursprung

Wenn man zum Obaku-Tempel in Kioto geht, so sieht man über dem Tor die Worte eingraviert: "Der erste Ursprung". Die Zeichen sind ungewöhnlich groß, und jene, die etwas von Kalligraphie verstehen, bewundern sie als ein Meisterwerk. Sie wurden von Kosen vor zweihundert Jahren gemalt. Der Meister schrieb sie auf Papier, und Handwerker stellten eine größere Holzschnitzerei davon her. Als Kosen die Zeichen entwarf, befand sich ein vorlauter Schüler bei ihm, der mehrere Liter Tinte für die Kalligraphie hergestellt hatte und es nie versäumte, seines Meisters Arbeit zu kritisieren. "Das ist nicht gut", sagte er zu Kosen nach dem ersten Versuch. "Und wie ist dieses hier?" "Armselig. Schlechter als das vorige", verkündete der Schüler. Kosen beschrieb geduldig ein Blatt nach dem anderen, bis sich vierundachtzig Erste Ursprünge angesammelt hatten, noch immer ohne den Beifall des Schülers. Als der junge Mann für einige Augenblicke hinausging, dachte Kosen: "Das ist meine Chance, seinen scharfen Augen zu entgehen", und er schrieb eilig und mit einem Geist, der frei war von Ablenkung: "Der erste Ursprung". "Ein Meisterwerk", erklärte der Schüler.


 


 


 

Vertrauen

Ein Mann hatte eines Nachts einen Traum. Er träumte, dass er mit Gott am Strand entlang spazieren ginge. Am Himmel zogen Szenen aus seinem Leben vorbei und für jede Szene aus seinem Leben waren Spuren im Sand zu sehen. Als er auf die Fußspuren im Sand zurückblickte, sah er, dass manchmal zwei Spuren und manchmal nur eine Spur da war. Er bemerkte weiter, dass sich zu Zeiten größter Not und Traurigkeit nur eine Spur zeigte. Deshalb fragte er den Herrn: ,,Herr, ich habe bemerkt, dass zu den traurigsten Zeiten meines Lebens nur eine Spur zu sehen ist. Du hast aber versprochen stets bei mir zu sein. Ich verstehe nicht, warum du mich da, wo ich dich am nötigsten brauchte, allein gelassen hast?“ Da antwortete ihm der Herr: ,,Ich liebe dich und ich würde dich niemals verlassen. In den Tagen, in denen du am meisten gelitten und mich am nötigsten gebraucht hast, da wo nur eine Spur im Sand zu sehen war, da habe ich dich getragen.“


 


 


 

Auf Worte achten

In einem Dorf gab es einen Sufi und zu diesem kamen die Eltern mit einem kranken Kind mit der Bitte, dass er es heilen möge. Er wiederholte einige Worte, dann gab er das Kind seinen Eltern und sagte: ,,Nun wird es gesund werden.” Jemand, der das nicht glauben wollte warf ein: ,,Wie kann das möglich sein, dass irgend jemand durch ein paar wiederholte Worte geheilt werden kann?”
Von einem sanften Sufi erwartet niemand eine zornige Antwort, doch jetzt drehte er sich zu diesem Mann und entgegnete ihm: ,,Du verstehst nichts davon. Du bist ein Narr!” Der Mann fühlte sich sehr beleidigt. Sein Gesicht rötete sich, er wurde wütend. Der Sufi sagte nun: ,,Wenn ein Wort die Kraft hat, dich wütend zu machen, warum sollte dann ein Wort nicht auch die Kraft haben zu heilen?”


 


 


 

Wie innen, so außen

Ein Mann betrat ein Dorf und suchte dort den Sufi-Meister auf, einen alten Weisen. Der Besucher sagte: ,,Ich versuche eine Entscheidung zu treffen, ob ich hierher ziehen soll oder nicht. Ich frage mich, wie wohl die Nachbarn sind. Kannst du mir etwas über die Leute hier erzählen?" Der Sufi-Meister verlangte: ,,Sag mir erst, wie die Leute sind, wo du herkommst." Der Besucher antwortete: ,,Ach, sie sind allesamt Wegelagerer, Betrüger und Lügner." Und da sagte der Sufi-Meister: ,,Weißt du was, die Menschen hier sind vom gleichen Schlag." Der Besucher verließ das Dort und kehrte nie mehr zurück. Eine halbe Stunde später betrat ein anderer Fremder das Dorf. Er machte den Sufi-Meister ausfindig und sagte: ,,Ich trage mich mit dem Gedanken, ob ich hierher, in dieses Dorf, ziehen soll. Kannst du mir etwas über die Menschen sagen, die hier leben?" Wieder bat der Sufi-Meister: ,,Erzähl mir erst, welcher Art die Menschen sind, unter denen du bislang gelebt hast." Der Fremde entgegnete: ,,Ach, sie sind die freundlichsten, sanftesten, mitfühlendsten und liebsten Menschen. Sie werden mir entsetzlich fehlen." Und der Sufi-Meister sagte: ,,Von dieser Art sind auch die Menschen in unserem Dorf."


 


 


 

Loslassen

Ein bereits älterer Mönch kam zu einem Zen-Meister und sagte: ,,Ich habe in meinem Leben eine Vielzahl von spirituellen Lehrern aufgesucht und nach und nach immer mehr Vergnügungen aufgegeben, um meine Begierden zu bekämpfen. Ich habe lange Zeit gefastet, jahrelang mich dem Zölibat unterworfen und mich regelmäßig kasteit. Ich habe alles getan, was von mir verlangt wurde, und ich habe wahrhaft gelitten, doch die Erleuchtung wurde mir nicht zuteil. Ich habe alles aufgegeben, jede Gier, jede Freude, jedes Streben fallengelassen. Was soll ich jetzt noch tun?“ Der Meister erwiderte: ,,Gib das Leiden auf!“


 


 


 

Im Hier und Jetzt leben

Ein junger Zen-Mönch fragte spitzfindig seinen Meister: ,,Meister, muß man sich nicht erst verlaufen, um seinen Zielort zu finden!“ Der Meister erwiderte: ,,Seit ich keinen Zielort mehr habe, verlaufe ich mich nicht mehr!“


 


 


 

Der Traum des materiellen Lebens

,,Wie lange dauert der Traum des materiellen Lebens an. Wann können wir Befreiung erlangen?“, fragt der weise König Janaka seinen ungewöhnlichen Gast, den in bescheidene Bettelgewänder gekleideten Ashtavakra. Der Heilige schaut ihn mit seinen dunklen Augen an- Augen, in denen sich der König zu verlieren scheint-, dann steht er auf und geht ruhig zu einer mit Juwelen geschmückten Säule. Jäh umarmt er die Säule mit vehementer Kraft und schreit: ,,Lass mich los!Lass mich endlich los! Wie lange willst du mich noch halten- gib mir endlich die Freiheit!“ Ungläubig schauen der König und seine Minister dem Schauspiel zu. Die Soldaten werfen sich unsichere Blicke zu- ob sie eingreifen sollen? Der Heilige blickt mit seinen tiefen Augen den König an, löst seine Umarmung von der Säule und geht gelassen aus dem Königssaal.


 


 


 

Die Botschaft erkennen

Ein Reisender kam in ein Kloster, um den Meister zu hören. Nach einer Weile sprach er zu einem der anderen Schüler: ,,Ich bin weit gereist, um dem Meister zuzuhören. Aber jetzt, wo ich ihn höre, finde ich seine Worte ganz gewöhnlich.“ Der Schüler antwortete: ,,Höre nicht auf seine Worte. Höre auf seine Botschaft.“ ,,Und wie macht man das?“ ,,Halte dich an einen Satz, den er sagt. Schüttle ihn dann gut durch, bis alle Wörter herausfallen. Was übrig bleibt, wird dein Herz entflammen.“


 


 


 

Der Axtdieb

Ein Mann fand eines Tages seine Axt nicht mehr. Er suchte und suchte, aber sie war verschwunden. Der Mann wurde ärgerlich und verdächtigte den Sohn seines Nachbarn, die Axt genommen zu haben. An diesem Tag beobachtete er den Sohn seines Nachbarn ganz genau. Und tatsächlich: Der Gang des Jungen war der Gang eines Axtdiebs. Die Worte, die er sprach, waren die Worte eines Axtdiebs. Sein ganzes Wesen und sein Verhalten waren die eines Axtdiebs. Am Abend fand der Mann die Axt durch Zufall hinter einem großen Korb in seinem eigenen Schuppen. Als er am nächsten Morgen den Sohn seines Nachbars erneut betrachtete, fand er weder in dessen Gang, noch in seinen Worten oder seinem Verhalten irgend etwas von einem Axtdieb.


 


 


 

Das Leid der Oase

Es war einmal eine wundervolle Oase. Sie grünte in einer Pracht, die schöner kaum sein konnte. Eines Tages blickte die Oase um sich, sah sie aber nichts anderes als die Wüste rings um sich. Vergebens suchte sie nach ihresgleichen und wurde ganz traurig.
Laut begann sie zu klagen: “Ich unglückliche, einsame Oase! Allein muss ich bleiben! Nirgends meinesgleichen. Nirgends jemand, der Freude an mir und meiner Pracht hat. Nichts, als die traurige, sandige, felsige, leblose Wüste umgibt mich. Was helfen mir hier in meiner Verlassenheit all meine Vorzüge und Reichtümer?” Da sprach die alte und weise Mutter Wüste: “Mein Kind, wenn es denn anders wäre und nicht ich – die traurige, dürre Wüste – dich umgäbe, sondern wenn alles um dich herum blühend, grün und prachtvoll wäre, dann wärst du keine Oase. Du wärst dann kein begünstigter Fleck, von dem, noch in der Ferne die Wanderer rühmend erzählen. Du wärst dann nur ein kleiner Teil von mir und bliebest unbemerkt. Darum also ertrage in Geduld, was die Bedingung deiner Auszeichnung und deines Ruhmes ist!”


 


 


 

Der Engel des Todes

Salomon unterhält sich mit seinem Minister, da kommt ein dritter Mann und setzt sich dazu. Schweigend lauscht dieser der Unterhaltung und wirkt dabei verwirrt und sehr ungeduldig. Nach wenigen Minuten verlässt er Salomon und den Minister und sagt, dass er gleich wieder kommen werde. Kaum aus dem Raum getreten sagt der Minister: „Oh Salomon sag mir wer war dieser Mann? Seine Anwesenheit und die Art und Weise wie er mich betrachtet hat, hat mir Angst gemacht. Das ist kein normaler Mensch gewesen.“ Salomon antwortet: „Du hast recht gesprochen, es war kein Mensch, es ist der Engel des Todes.“ Zu Tode erschrocken und in totaler Panik sagt der Minister „Oh Salomon, ich habe es geahnt, und ich bin mir sicher, dass er hinter meiner Seele her ist, darum hat er mich auch immer so komisch angeschaut. Bitte, Salomon, du der du über Wunderkräfte verfügst, bring mich fort von hier, bring mich in ein fernes Land, am besten nach Indien, jetzt sofort, bitte, bitte, bitte.....“ Salomon sagt: „Dem Engel des Todes kann man nicht entkommen“. Doch nachdem sich der Minister gar nicht mehr beruhigen konnte und immer panischer wurde, und unter Tränen auf Knien Salomon bittet ihn fort zu bringen, beschwört Salomon die Winde herauf, und lässt den Minister in Windeseile nach Indien tragen. Kurze Zeit später kommt der Engel des Todes zurück und will wissen wo den der Minister ist. Salomon antwortet: „Ich habe den Minister auf seinen Wunsch hin in ein anderes Land gebracht“. Darauf der Engel des Todes: „Aaaah, jetzt verstehe ich. Du hast ihn nach Indien gebracht. Ich hatte mich schon gewundert wie er überhaupt hier sein konnte: Ich soll seine Seele nämlich in 5 Minuten abholen aber auf meiner Liste steht, dass ich sie in Indien abholen soll......“


 


 


 

Der Sultan und sein Berater
Es war einmal in einem fernen Land ein junger Sultan. Er lebte glücklich und zufrieden und genoss das Leben in vollen Zügen. Er und sein Berater, der auch sein bester Freund war, hatten eine gemeinsame Leidenschaft: Sie liebten es in den Dschungel zu reiten, Tage und Nächte dort zu verbringen, sich dort von gejagtem zu ernähren, bei Lagerfeuer unter freiem Himmel zu übernachten, und mit der Natur eins zu werden, dann von dem Ausflug gestärkt würden sie zurück kehren, und sich wieder an die Regierungsgeschäfte machen. Eines Tages, als sie auf dem Rückweg von einem ihrer Ausflüge waren, schnitt sich der Sultan im Dschungel an einer Pflanze am kleinen Finger. Da die Wunde klein war schenkte er ihr keine große Aufmerksamkeit. Zum Schloss zurückgekehrt verabschiedeten sich die beiden Freunde voneinander und gingen zu Bett. In der Nacht schwoll der Finger des Sultans an und er bekam große Schmerzen. Er ließ seine Ärzte rufen. Nachdem diese die Wunde begutachteten und sich beraten hatten, verkündeten sie dem Sultan die schlechte Nachricht, dass sie ihm den Finger abnehmen müssen, sonst würde er bald die ganze Hand verlieren und bald darauf den Arm. Vor Wut schäumend willigte er schließlich ein. Noch in derselben Nacht wurde ihm der Finger abgenommen. Am nächsten Morgen kam ausgeschlafen und gut gelaunt der beste Freund des Sultans, der von alledem nichts mitbekommen hatte in den Thronsaal. Unter Tränen und Schmerzen erzählte ihm der Sultan was ihm in der Nacht widerfahren war. Sein bester Freund war betroffen, ging für einen Moment in sich und sagte dann: Habe Vertrauen! Gott ist gnädig und weise. Gott hat seine Gründe warum er dieses und jenes macht oder zulässt. Auch wenn wir es vielleicht nicht erkennen können, Gott tut alles aus Liebe zu uns. Da platzte dem Sultan der Kragen, der ganze Schmerz und die Verzweiflung über den Verlust des Fingers verwandelte sich in einer großen Explosion zu rasender ungebändigter Wut. Er schrie nach den Wachen, ließ seinen besten Freund auspeitschen und in den dunkelsten Kerker werfen. Schlaue Sprüche waren das letzte was er jetzt ertragen konnte. Wochen und Monate vergingen. Der Sultan fühlte sich zunehmend besser. Eines Tages beschloss er in den Dschungel zu reiten, zum ersten Mal in seinem Leben allein.
Kaum war er in den Tiefen des Dschungels angekommen, wurde er von halb nackten, bunt bemalten Waldbewohnern gefangen genommen, gefesselt und in ihr Dorf gebracht. Schon von weitem konnte der Sultan die Trommeln hören. Im Zentrum des Dorfes angekommen, sah er hunderte Bewohner ekstatisch um das Lagerfeuer tanzen. Als er auf den Altar gefesselt wurde, wurde ihm klar, dass er den Göttern des Waldvolkes geopfert werden sollte. Dessen bewusst, dass sein Leben bald ein jähes Ende finden würde begann er zu beten. Er betete um Vergebung seiner Verfehlungen, und betete in Dankbarkeit für sein ihm geschenktes Leben in einer Tiefe in der er noch nie gebetet hatte. Zum ersten Mal fühlte er, dass er wirklich gebetet hatte. Dann verstummten die Trommeln. Als der Sultan die Augen auf machte, sah er den Hohepriester des Waldvolkes vor ihm stehen. Der Hohepriester erhob seine Arme zum Himmel, bat die Götter um ihren Segen für das Volk. Er und das Volk waren überglücklich darüber eine so einzigartige Opfergabe - den Sultan persönlich – darbringen zu können. Mit Sicherheit würden die Götter das Volk segnen. Dann zückte er das Opfermesser...Plötzlich schrie der Hohepriester auf, er starrte das Opfer an, er konnte es nicht fassen. Er schrie: ,,Dieses Opfer ist nutzlos, völlig nutzlos, ihm fehlt ja ein Finger, wir können den Göttern keinen unvollkommenen Menschen opfern. Schafft ihn hinfort.“ Tage später war der Sultan in seinen Palast zurückgekehrt. Die Behandlung der Waldbewohner nachdem die Feier wegen ihm nicht beendet werden konnte war sehr unsanft gewesen, doch er war immer noch am Leben, und er war sehr glücklich über die Wendung seines Schicksals. Plötzlich fiel ihm siedend heiß sein bester Freund ein der seit Monaten im Kerker eingesperrt war. Er lies ihn sofort holen. Lief ihm mit Tränen in den Augen entgegen, umarmte und küsste ihn. Bat ihm tausendmal um Vergebung für seine eigene Kurzsichtigkeit. Sein bester Freund hatte immer Recht gehabt, ja wegen seiner Weisheit hatte er ihn ja zum seinem Berater gemacht, er hatte gesagt, dass Gott weiß warum er dies und jenes tut. Der Sultan sagte: ,,Bitte vergib mir dass ich dich voll verblendeter Wut in den Kerker werfen ließ und dich all die Monate ungerechterweise drinnen ließ.” Sein bester Freund war betroffen, ging für einen Moment in sich und sagte dann: ,,Habe Vertrauen! Gott ist gnädig und weise. Gott hat seine Gründe warum er dieses und jenes macht oder zulässt - Wäre ich nicht im Gefängnis gewesen, wäre ich – wie immer - mit dir in den Dschungel geritten, dann wäre ich statt deiner geopfert worden!!!“ Auch wenn wir es vielleicht nicht erkennen können, Gott tut alles aus Liebe zu uns....


 


 


 

Gegenwärtigkeit

Der Zen-Meister Hakuin wurde von seinen Nachbarn als einer, der ein reines Leben führte, gepriesen. Ein schönes japanisches Mädchen, dessen Eltern ein Lebensmittelgeschäft besaßen, wohnte in seiner Nähe. Da entdeckten die Eltern plötzlich, daß sie schwanger war. Das machte die Eltern sehr böse. Sie wollte nicht gestehen, wer der Mann war, aber nach langem Drängen nannte sie schließlich Hakuin. In großem Ärger gingen die Eltern zum Meister. ,,So?" war alles, was er zu sagen hatte. Nachdem das Kind geboren war, brachte man es zu Hakuin. Er hatte seinen guten Ruf verloren, was ihm jedoch keine Sorgen machte, und er kümmerte sich in bester Weise um das Kind. Von seinen Nachbarn erhielt er Milch und alles andere, was das Kleine benötigte. Ein Jahr später konnte die junge Mutter es nicht länger aushalten. Sie erzählte ihren Eltern die Wahrheit: dass der echte Vater ein junger Mann sei, der auf dem Fischmarkt arbeitete. Die Mutter und der Vater des Mädchens gingen wieder zu Hakuin sagten „Es ist nicht Dein Kind – und wir wollen es zurück!“ ,,So?" sagte Hakuin. Und gab ihnen das Kind.


 


 


 

Die Liebe und der Wahnsinn

Es wird erzählt, dass alle Gefühle und Qualitäten des Menschen einmal ein Treffen hatten.Als die Langeweile zum dritten Mal gähnte, schlug der Wahnsinn vor: ,,Lasst uns Verstecken spielen.“Die Intrige hob die Augenbraue und die Neugierde fragte: ,,Verstecken, was ist denn das?“ ,,Das ist ein Spiel.“ sagte der Wahnsinn. ,,Ich schließe meine Augen und zähle von 1 bis 1.000. Inzwischen versteckt Ihr Euch. Wenn ich das Zählen beendet habe, wird der Letzte, den ich finde, meinen Platz einnehmen, um das Spiel fortzusetzen.“ Die Begeisterung und die Euphorie tanzten vor Freude. Die Freude machte so viele Sprünge, dass sie den letzten Schritt tat, um den Zweifel zu überzeugen und sogar die Gleichgültigkeit, die sonst an nichts Interesse zeigte, machte mit. Aber nicht alle wollten mitmachen: Die Wahrheit bevorzugte es sich nicht zu verstecken, wozu auch? Zum Schluss würde man sie immer entdecken und der Stolz meinte, dass es ein dummes Spiel wäre (im Grunde ärgerte er sich nur, dass die Idee nicht von ihm kam) und die Feigheit zog es vor, nichts zu riskieren. ,,Eins, zwei, drei,…“, der Wahnsinn begann zu zählen. Als Erstes versteckte sich die Trägheit, die sich hinter den ersten Stein fallen ließ. Der Glaube stieg zum Himmel empor und die Eifersucht versteckte sich im Schatten des Triumphes, der es aus eigener Kraft geschafft hatte, bis zur höchsten Baumkrone zu gelangen. Die Großzügigkeit schaffte es kaum, sich selber zu verstecken, da sie bei allen Verstecken, die sie fand glaubte, ein wunderbares Versteck für einen ihrer Freunde gefunden zu haben: Ein kristallklarer See war ein wunderbares Versteck für die Schönheit. Eine dunkle Höhle, das war ein perfektes Versteck für die Angst. Der Flug eines Schmetterlings das beste Versteck für die Wollust. Ein Windstoß war großartig für die Freiheit. So versteckte sie sich letztlich selbst auf einem Sonnenstrahl. Der Egoismus dagegen fand von Anfang an einen sehr guten Ort, luftig und gemütlich, aber nur für ihn. Die Lüge versteckte sich auf dem Meeresgrund (stimmt nicht, in Wirklichkeit versteckte sie sich hinter dem Regenbogen). Die Leidenschaft und das Verlangen im Zentrum der Vulkane. Die Vergesslichkeit…, ich habe vergessen, wo sie sich versteckte, aber das ist auch nicht so wichtig.Als der Wahnsinn ,,999" zählte, hatte die Liebe noch kein Versteck gefunden. Alle Plätze schienen besetzt zu sein, bis sie den Rosenstrauch entdeckte und gerührt beschloss sich in der Blüte zu verstecken. ,,1000“, zählte der Wahnsinn und begann zu suchen. Die Erste, die entdeckt wurde, war die Trägheit, nur drei Schritte vom ersten Stein entfernt. Danach hörte man den Glauben, der im Himmel mit Gott über Theologie diskutierte. Das Verlangen und die Leidenschaft hörte man im Vulkan vibrieren. In einem unachtsamen Moment fand der Wahnsinn die Eifersucht und so natürlich auch den Triumph. Den Egoismus brauchte er gar nicht zu suchen, ganz allein kam er aus seinem Versteck heraus, das sich als Bienennest entpuppt hatte. Vom vielen Laufen bekam der Wahnsinn Durst und als er sich dem See näherte, entdeckte er die Schönheit. Mit dem Zweifel war es noch einfacher, ihn entdeckte er auf einem Zaun sitzend, weil er sich nicht entscheiden konnte, auf welcher Seite er sich verstecken sollte. So fand er einen nach dem anderen, das Talent im frischen Gras und die Angst in einer dunklen Höhle.Nur die Liebe tauchte nirgendwo auf. Der Wahnsinn suchte sie überall. Auf jedem Baum, in jedem Bach dieses Planeten, auf jedem Berg und als er schon aufgeben wollte, erblickte er die Rosen. Mit einem Stöckchen fing er an, die Zweige zu bewegen, bis ein Schrei ertönte. Die Dornen hatten der Liebe die Augen ausgestochen. Der Wahnsinn war hilflos und wusste nicht, wie er seine Tat wieder gutmachen konnte. Er weinte und entschuldigte sich und er versprach ihr, für immer ihr Blindenführer zu sein. Seit dieser Zeit, seit zum ersten Mal auf Erden Verstecken gespielt wurde, ist die Liebe blind und der Wahnsinn immer ihr Begleiter.


 


 


 

Was das Leben ist

Eines Tages beschloss das Leben, eine Umfrage zu machen. Es wollte von allen nur eine Frage beantwortet haben: „Was ist das Leben?“ Die Kuh antwortete: „Das Leben ist grün.“ Die Eule antwortete: „Das Leben ist Nacht.“ Die Lerche antwortete: „Das Leben ist ein blauer Himmel.“ Der Schmetterling antwortete: „Das Leben ist Veränderung.“ Die Sonne antwortete: „Das Leben ist Energie.“ Das Wasser antwortete: „Das Leben ist Fließen.“ Die Steine antworteten: „Das Leben ist fest und beharrlich.“ Der Friedhofswächter antwortete: „Das Leben ist der Anfang vom Ende.“ Und so ging es immer weiter und das Leben sammelte unzählige Antworten, von denen keine der anderen glich. Am Ende kamen alle Befragten zusammen und stellten nun dem Leben die Frage: „Was bist du nun?“ Da antwortete das Leben: „All das zusammen und noch viel mehr.“


 


 


 

Eine Pause für den Winter

Jahr für Jahr schimpften die Menschen auf den Winter. Zu grau sei er, zu kalt, zu lang. So beschloss der Winter, einfach ein Jahr Urlaub zu machen. Der Herbst könnte ja einen Teil übernehmen und dann der Frühling etwas früher beginnen. Sicher würden die Menschen dann aufatmen und fröhlich sein.Gesagt, getan: Herbst und Frühling waren einverstanden und so legte sich der Winter aufs Sofa und ließ es sich gut gehen. Am Ende seines Urlaubs wollte er dann aber doch noch einmal kurz schauen, wie es den Menschen in der Zwischenzeit ergangen war. Was er da vorfand, waren noch längere Gesichter als je zuvor. Die Menschen klagten, dass es gar nicht richtig kalt geworden sei und dass es keinen Schnee gegeben habe. Der Winter sei einfach ausgefallen in diesem Jahr! Da verstand der Winter die Welt nicht mehr.


 


 


 

Die Geschichte von den ungleichen Zwillingen
Es waren einmal Zwillinge, die glichen sich äußerlich wie ein Ei dem anderen. Ansonsten waren aber vollkommen verschieden. Wenn es dem einen zu heiß war, war es dem anderen zu kalt. Wenn der eine sagte: ,,Die Musik ist zu laut", wollte der andere die Musik noch lauter. Und der auffälligste Unterschied zwischen den beiden war der, dass der eine von ihnen zu jeder Stunde optimistisch und zuversichtlich war, während sich der andere immer schlecht gelaunt und und pessimistisch gab. Als sie nun eines Tages Geburtstag hatten, wagte der Vater der Zwillinge ein Experiment: Er wartete am Vorabend des Geburtstages so lange, bis seine Söhne eingeschlafen waren, und machte sich dann heimlich ans Werk. Er füllte das Zimmer des Pessimisten bis unter die Decke voll mit den schönsten Geschenken: Spielzeug, Sportgeräte, technische Geräte und vieles mehr. Dem Optimisten aber legte er nur einen stinkenden Haufen Pferdeäpfel ins Zimmer – sonst nichts. Nun war er gespannt, was passieren würde. Am nächsten Morgen schaute der Vater zuerst ins Zimmer des Pessimisten. Er fand ihn laut klagend am Boden sitzen, inmitten der ganzen wundervollen Geschenke. ,,Warum weinst du denn?“ fragte der Vater. ,,Erstens, weil meine Freunde neidisch sein werden, zweitens, weil ich die ganzen Gebrauchsanleitungen lesen muss, bevor ich mit den Geschenken etwas anfangen kann, drittens, weil ich für die meisten dieser Spielsachen ständig neue Batterien brauchen werde und viertens, weil im Lauf der Zeit bestimmt ein paar von den Spielsachen kaputtgehen werden!“ Darauf ging der Vater in das Zimmer des optimistischen Zwillings. Dieser hüpfte vor Freude um die Pferdeäpfel herum. ,,Warum bist du denn so fröhlich?“ fragte der Vater. ,,Ganz einfach“, antwortete dieser ,,weil irgendwo im Haus ein Pony sein muss!“


 


 


 

Die zwei Söhne des Königs
Es war einmal ein König. Er hatte zwei Söhne und musste nun bestimmen, wer von ihnen seinen Thron übernehmen sollte. Um zu entscheiden, wer von den beiden dafür geeignet war, gab er jedem fünf Silberstücke und sagte: ,,Eure Aufgabe ist es, die Halle unseres Schlosses zu füllen. Wer von euch das Meiste für das Geld, das ich Euch gegeben habe bekommt, soll mein Nachfolger werden. Ihr habt bis heute Abend Zeit.“ Der erste Sohn kam an einem Reisfeld vorbei, wo die Ernte gerade mitten im Gang war. Er entschied, dass sich die Halle sehr gut mit Reisstroh füllen ließe und verhandelte mit den Reisbauern, um für sein Geld ausreichend Reisstroh zu bekommen. Er konnte so viel Stroh kaufen, dass er damit die Halle bis unter das Dach füllen konnte. Da war er recht stolz auf sein Werk und ging zu seinem Vater. ,,Ich habe die Halle bis unter das Dach mit Reisstroh gefüllt und damit die Aufgabe erfüllt. Du brauchst nicht mehr auf meinen Bruder zu warten. Mach mich zu deinem Nachfolger.“ sagte er. ,,Noch ist der Abend nicht gekommen.“ sagte der Vater. Als es bereits dunkel war, kam der andere Sohn und befahl, all das Reisstroh wieder entfernen zu lassen. Er nahm eine Kerze und zündete sie in der Mitte der großen, dunklen Halle an. Der Schein der Kerze erfüllte die ganze Halle mit Licht. Da sprach der Vater: ,,Du sollst mein Nachfolger sein, denn du hast diese Halle mit dem gefüllt, was die Menschen brauchen.“


 


 


 

Der Schäfer und die Nachtigall

,,Singe doch, liebe Nachtigall!“ rief ein Schäfer der schweigenden Sängerin an einem lieblichen Frühlingsabende zu. ,,Ach!" sagte die Nachtigall, ,,die Frösche quaken so laut, dass ich alle Lust zum Singen verliere. Hörst du sie nicht?“ ,,Ich höre sie freilich." sagte der Schäfer. ,,Aber dein Schweigen ist Schuld, dass ich nur sie höre.“


 


 


 

Der Esel

Einmal war Nasreddin mit einem kleinem Jungen und einem Esel unterwegs in Richtung Stadt, da kamen ihnen Leute entgegen die laut über Nasreddin und den Jungen tratschten, dass sie doch doof seien, weil sie beide zu Fuß gingen und keiner auf dem Esel reite.
Sogleich setzte sich Nasreddin auf den Esel. Bis ihnen wieder Leute entgegen kamen, die sich diesmal darüber aufregten, dass Nasreddin auf dem Esel reite und der arme Junge laufen müsse. Sogleich stieg Nasreddin ab und setzte den Jungen auf den Esel.
Dann kamen ihnen Leute entgegen die sich empörten, dass der gesunde Junge auf dem Esel reite, während der alte schwache Nasreddin laufen müsse. Also setzten sich diesmal sowohl Nasreddin als auch der Junge auf den Esel. Und diesmal bedauerten die Leute den armen Esel, der nun die Last von beiden tragen musste. Und die Geschichte endete damit, dass Nasreddin den Esel auf dem Rücken zur Stadt trug und der kleine Junge hinterher lief.


 


 


 

Unrecht oder Segnung

Ein Mönch tritt in ein Teehaus ein und verkündet:,,Mein Meister hat mich gelehrt zu verbreiten, dass die Menschheit so lange nicht das Stadium der Vollkommenheit erreichen wird, bis derjenige, dem kein Unrecht geschah, über ein Unrecht genauso empört ist, wie derjenige, dem Unrecht geschah.“ Für einen Augenblick ist die ganze Versammlung beeindruckt. Dann spricht Nasreddin: ,,Mein Lehrer lehrte mich, dass überhaupt niemand über irgend etwas empört sein sollte, ehe er nicht sicher ist, dass das vermeintliche Übel auch tatsächlich ein Übel ist - und nicht eine verkleidete Segnung!“


 


 


 

Egoismus

Nasreddin und ein Freund wanderten eine staubige Straße entlang und wurden sehr durstig. Sie machten bei einem Teehaus halt und stellten fest, dass sie zusammen gerade noch genug Geld hatten, um ein Glas Milch zu kaufen. Der Freund sagte: ,,Trink Du Deine Hälfte zuerst, ich habe noch eine Prise Zucker, die ich in meinen Anteil hinein tun will.“ ,,Gib ihn jetzt hinein, Bruder, so dass wir beide etwas davon haben“, sagte Nasreddin. ,,Nein, es ist nicht genug, um ein ganzes Glas zu süßen.“ Nasreddin ging in die Küche und kam mit einem Salzstreuer zurück. ,,Gute Nachricht, Freund. Ich trinke meine Hälfte mit Salz. Und es ist genug für das ganze Glas da.“


 


 


 

Ehrlichkeit

Eines Tages wollten die Dorfbewohner sich mit Nasreddin einen Spaß machen. Da man ihn für einen heiligen Mann, wenn gleich von nicht recht verständlicher Art, hielt, gingen sie zu ihm mit der Bitte, er möge bei ihnen eine Predigt halten. Als der Tag kam, bestieg Nasreddin die Kanzel und sagte: ,,0 Leute! Wißt ihr, was ich euch erzählen werde?“,,Nein, wir wissen es nicht“, riefen sie. ,,Ehe ihr es nicht wißt, kann ich es auch nicht sagen. Ihr seid zu unwissend, als daß ich damit anfangen kann“, sagte der Geistliche, übermannt von Entrüstung über so unwissende Leute, die ihm seine Zeit stahlen. Er stieg von der Kanzel und ging heim. Leicht verärgert ging eine Abordnung wieder zu seinem Hause und bat ihn, am kommenden Freitag, dem Tag des Gebetes, zu predigen. Nasreddin begann seine Predigt mit derselben Frage wie beim vorigen Mal. Diesmal antwortete die Versammlung wie aus einem Munde: ,,Ja, wir wissen es!“ ,,In diesem Fall“, sagte der Geistliche, ,,besteht für mich keine Notwendigkeit, euch länger aufzuhalten. Ihr könnt gehen.“ Und er kehrte heim. Nachdem man ihn bewegt hatte, auch am dritten, darauf folgenden Freitag zu predigen, begann er seine Ansprache wie zuvor: ,,Wißt ihr es oder wißt ihr es nicht?“ Die Versammlung war darauf gefaßt. ,,Einige von uns wissen es, andere nicht.“ ,,Ausgezeichnet!“ sagte Nasreddin. ,,Dann laßt diejenigen, die es wissen, ihr Wissen denen mitteilen, die es nicht wissen.“ Und ging nach Hause.


 


 


 

Bequemlichkeit

Nasreddin stand auf dem Marktplatz und wandte sich fragend an die Menge der Anwesenden: ,,Leute, wollt Ihr bequem und problemlos Weisheit erwerben, wollt Ihr die Wahrheit ohne Falschheit, wollt Ihr Erfolg ohne Anstrengung, Fortkommen ohne Opfer?“ Alle, die sich eingefunden hatten riefen begeistert: ,,Ja, ja!“ ,,Ausgezeichnet!“ rief da der Mullah. ,,Das wollte ich nur wissen. Ihr könnt Euch darauf verlassen, dass ich Euch sogleich Bescheid geben lasse, wenn mir so etwas über den Weg läuft!“


 


 


 

Wer bist Du?

Eine Frau lag im Koma.Plötzlich schien es ihr, als sei sie schon tot, wäre im Himmel und stünde nun vor einem Richterstuhl. ,,Wer bist du?“ fragte eine Stimme. ,,Ich bin die Frau des Bürgermeisters“ antwortete die Frau. ,,Ich habe nicht gefragt, wessen Ehefrau du bist, sondern, wer du bist.“,,Ich bin die Mutter von vier Kindern.“ war nun ihre Antwort. ,,Ich habe nicht gefragt, wessen Mutter du bist, sondern wer du bist.“ ,,Ich bin Lehrerin.“ ,,Ich habe auch nicht nach deinem Beruf gefragt, sondern wer du bist.“ ,,Ich bin Christin.“ ,,Ich habe nicht nach deiner Religion gefragt, sondern wer du bist.“ Und so ging es immer weiter. Alles, was die Frau erwiderte, schien keine befriedigende Antwort auf die Frage ,,Wer bist du?“ zu sein. Irgendwann erwachte die Frau aus ihrem Koma und wurde wieder gesund. Sie beschloss nun herauszufinden, wer sie war.


 


 


 

Die Wünsche des Bauern

Es war einmal ein armer chinesischer Reisbauer, der trotz all seines Fleißes in seinem Leben nicht vorwärts kam. Eines Abends begegnete ihm der Mondhase, von dem jedes Kind weiß, dass er den Menschen jeden Wunsch erfüllen kann. ,,Ich bin gekommen“, sagte der Mondhase, ,,um dir zu helfen. Ich werde dich auf den Wunschberg bringen, wo du dir aussuchen kannst, was immer du willst.“ Und ehe er sich versah, fand sich der Reisbauer vor einem prächtigen Tor wieder. Über dem Tor stand geschrieben: ,,Jeder Wunsch wird Wirklichkeit“. ,,Schön“, dachte der Bauer und rieb sich die Hände, ,,mein armseliges Leben hat nun endlich ein Ende.“ Und erwartungsvoll trat er durch das Tor. Ein weißhaariger, alter Mann stand am Tor und begrüßte den Bauern mit den Worten: ,,Was immer du dir wünschst, wird sich erfüllen. Aber zuerst musst du ja wissen, was man sich überhaupt alles wünschen kann. Daher folge mir!“Der alte Mann führte den Bauern durch mehrere Säle, einer schöner als der andere. ,,Hier“, sprach der Weise, ,,im ersten Saal siehst du das Schwert des Ruhms. Wer sich das wünscht, wird ein gewaltiger General; er eilt von Sieg zu Sieg und sein Name wird auch noch in den fernsten Zeiten genannt. Willst du das?“ ,,Nicht schlecht“, dachte sich der Bauer, ,,Ruhm ist eine schöne Sache und ich möchte zu gerne die Gesichter der Leute im Dorf sehen, wenn ich General werden werde. Aber ich will es mir noch einmal überlegen.“ Also sagte er: ,,Gehen wir erst einmal weiter.“,,Gut, gehen wir weiter“, sagte lächelnd der Weise. Im zweiten Saal zeigte er dem Bauern das Buch der Weisheit. ,,Wer sich das wünscht, dem werden alle Geheimnisse des Himmels und der Erde offenbar.“ sagte er. Der Bauer meinte: ,,Ich habe mir schon immer gewünscht, viel zu wissen. Das wäre vielleicht das Rechte. Aber ich will es mir noch einmal überlegen.“ Im dritten Saale befand sich ein Kästchen aus purem Gold. ,,Das ist die Truhe des Reichtums. Wer sich die wünscht, dem fliegt das Gold zu, ob er nun arbeitet oder nicht.“ waren die Worte des alten Mannes. ,,Ha!“, lachte der Bauer, ,,Das wird das Richtige sein. Wer reich ist, der ist der glücklichste Mensch der Welt. Aber Moment - Glück und Reichtum sind ja zwei verschiedene Dinge. Ich weiß nicht recht. Gehen wir noch weiter.“ Und so ging der Bauer von Saal zu Saal, ohne sich für etwas zu entscheiden. Als sie den letzten Saal gesehen hatten, sagte der alte Mann zum Bauern: ,,Nun wähle. Was immer du dir wünschst, wird erfüllt werden!“,,Du musst mir noch ein wenig Zeit lassen“, sagte der Bauer, ,,Ich muss mir die Sache noch etwas überlegen.“ In diesem Augenblick aber ging das Tor hinter ihm zu und der Weise war verschwunden. Der Bauer fand sich zu Hause wieder. Der Mondhase saß wieder vor ihm und sprach: ,,Armer Bauer, wie du sind die meisten Menschen. Sie wissen nicht, was sie sich wünschen sollen, sie wünschen sich alles und bekommen nichts. Was immer sich einer wünscht, das schenken ihm die Götter - aber der Mensch muss wissen, was er will ...“


 


 


 

Die Samen
Es steckten einmal zwei Samen nebeneinander im Boden. Der erste Samen sprach: ,,Ich will wachsen! Ich will meine Wurzeln tief in die Erde senden und ich will als kleines Pflänzchen die Erdkruste durchbrechen, um dann kräftig zu wachsen. Ich will meine Blätter entfalten und mit ihnen die Ankunft des Frühlings feiern. Ich will die Sonne spüren, mich von Wind hin- und her wehen lassen und den Morgentau auf mir spüren. Ich will wachsen!“ Und so wuchs der Samen zu einer kräftigen Pflanze. Der zweite Samen sprach: ,,Ich fürchte mich. Wenn ich meine Wurzeln in den Boden sende, weiß ich nicht, was mich dort in der Tiefe erwartet. Ich befürchte, dass es mir wehtut oder dass mein Stamm Schaden nehmen könnte, wenn ich versuche, die Erdkruste zu durchbrechen. Ich weiß auch nicht, was dort oben über der Erde auf mich lauert. Es kann so viel geschehen, wenn ich wachse. Nein, ich bleibe lieber hier in Sicherheit und warte, bis es sicherer ist.“ Und so verblieb der Samen in der Erde und wartete. Eines Morgens kam eine Henne vorbei. Sie scharrte mit ihren scharfen Krallen nach etwas Essbaren im Boden. Nach einer Weile fand sie den wartenden Samen im Boden und fraß ihn auf.


 


 


 

Was man zu schätzen weiß

Ein Mann kam völlig aufgebracht zum Meister: ,,Ich brauche dringend Hilfe - sonst werde ich noch verrückt! Meine Frau und ich leben mit unseren Kindern und den Schwiegereltern in einem einzigen Raum. Wir sind mit unseren Nerven am Ende, wir brüllen uns an und schreien. Es ist die Hölle.“ ,,Versprichst Du, alles zu tun, was ich Dir sage?“ fragte der Meister den Mann.
,,Ich schwöre, ich werde alles tun, was Du mir sagst.“ ,,Gut,“ sprach der Meister ,,wie viele Haustiere hast Du?“ ,,Eine Kuh, eine Ziege und sechs Hühner.“ ,,Nun nimm sie alle zu dir ins Zimmer. Dann komm' in einer Woche wieder.“ Der Mann war entsetzt. Aber er hatte ja versprochen, zu gehorchen. Also nahm er die Tiere mit ins Haus. Eine Woche später kam er wieder, ein Bild des Jammers. ,,Ich bin ein nervliches Wrack. Der Schmutz! Der Gestank! Der Lärm! Wir sind alle am Rande des Wahnsinns!“ rief er, als er den Meister sah. ,,Geh nach Hause“, sagte der Meister, ,,und bring die Tiere wieder nach draußen.“ Der Mann rannte den ganzen Heimweg. Und er kam am nächsten Tag wieder zum Meister. ,,Wie schön ist das Leben! Die Tiere sind draußen. Die Wohnung ist ein Paradies - so ruhig und sauber und so viel Platz!“


 


 


 

Der Lehrer und der Hund

Ein Sufi-Lehrer ging gerade mit einem Schüler eine Straße entlang. Plötzlich wurde er von einem wütenden Hund angegriffen. Das aggressive Tier knurrte und bellte und wollte den Sufi-Lehrer anfallen.Der Schüler war außer sich und rief: ,,Was fällt dir ein, meinen Meister so anzugehen!“ und er verjagte den Hund. Während die beiden weitergingen, sagte der Lehrer zu seinem Schüler: ,,Der Hund ist beständiger als du. Er bellt jeden an, entsprechend seinen Gewohnheiten und Trieben. Du hingegen betrachtest mich als Deinen Meister und machst deshalb einen Unterschied zwischen mir und den anderen. Oft bist du auf unserer Reise schon Menschen begegnet, die du ohne eines Blickes zu würdigen einfach übergangen hast.“ Der Schüler schwieg für den Rest des Tages.


 


 


 

Seesterne retten

Ein furchtbarer Sturm kam auf. Der Orkan tobte. Das Meer wurde aufgewühlt und meterhohe Wellen brachen sich ohrenbetäubend laut am Strand.Nachdem das Unwetter langsam nachließ, klarte der Himmel wieder auf. Am Strand lagen aber unzählige von Seesternen, die von der Strömung an den Strand geworfen waren. Ein kleiner Junge lief am Strand entlang, nahm behutsam Seestern für Seestern in die Hand und warf sie zurück ins Meer. Da kam ein Mann vorbei. Er ging zu dem Jungen und sagte: ,,Du dummer Junge! Was du da machst ist vollkommen sinnlos. Siehst du nicht, dass der ganze Strand voll von Seesternen ist? Die kannst du nie alle zurück ins Meer werfen! Was du da tust, ändert nicht das Geringste!“ Der Junge schaute den Mann einen Moment lang an. Dann ging er zu dem nächsten Seestern, hob ihn behutsam vom Boden auf und warf ihn ins Meer. Zu dem Mann sagte er: ,,Für ihn wird es etwas ändern!“


 


 


 

Der Zirkusbär

Es war einmal ein Zirkusbär. Sein Zuhause bestand aus einem kleinen Käfig. Er war bereits in einem solchen Käfig geboren worden und verbrachte seine Freizeit damit, in diesem Käfig zehn Schritt vorwärts zu machen und wieder zehn Schritte rückwärts. Irgendwann beschloss der Zirkusdirektor, den Zirkus aufzugeben, da er nur noch Verluste machte. Er fuhr mit dem Bären in den Wald, stellte den Käfig ab und öffnete die Tür, bevor er abfuhr. Der Bär steckte die Nase aus der offenen Käfigtür. Nun stand ihm die Welt offen für ein Leben als ein freier Bär. Der Bär sprang aus dem Käfig. Er stapfte einen Schritt vorwärts, vier, sechs, acht, neun... Aber nach dem zehnten Schritt ging der Bär wieder zehn Schritte rückwärts...


 


 


 

Die Schnecke und der Kirschbaum

Der Meister wurde einmal gefragt, ob er es nicht manchmal leid sei und sich entmutigt fühle, wenn all seine Mühe kaum Früchte trägt. Da erzählte er die folgende Geschichte: Es war einmal eine Schnecke, die sich an einem nasskalten, grauen und stürmischen Frühjahrstag aufmachte, am Stamm eines Kirschbaumes hinaufzuklettern. Die Spatzen, die überall im Garten saßen, lachten über die Schnecke und zwitscherten: ,,Du bist ja ein Dummkopf - schau doch, da sind überhaupt keine Kirschen am Baum! Warum machst du dir die Mühe, da hochzuklettern?“ Die Schnecke kroch unbeirrt weiter und sagte zu den Spatzen: ,,Das macht mir nichts - bis ich oben angekommen bin, sind Kirschen dran!“


 


 


 

Die Geschichte von den Fröschen

Es war einmal eine Gruppe von Fröschen, die gemeinsam durch einen Wald liefen. Plötzlich fielen zwei von ihnen in eine tiefe Grube, die sie nicht gesehen hatten. Die anderen Frösche konnten einen Sturz in die Grube gerade noch verhindern und versammelten sich nun um das Loch im Boden. Sie blickten zu den beiden Kameraden herab, die tief unten auf dem Boden hockten und versuchten, aus der Grube herauszuspringen. Als sie sahen, wie tief das Loch war, riefen sie den beiden zu, dass das Springen keinen Sinn hätte - die Grube sei viel zu tief. Sie sollten lieber aufgeben und einfach sterben. Der eine von den beiden ließ sich durch die Aussicht, schon so gut wie tot zu sein, schnell entmutigen. Er erkannte, keine Chance zu haben und hörte auf zu springen. Schnell starb er. Die anderen riefen zu dem übrig gebliebenen Frosch, dass er sich doch nicht weiter quälen, sondern sich ebenso wie der andere Frosch zum Sterben bereit machen sollte. Der andere Frosch aber sprang weiter - unermüdlich, verbissen und eifrig. Höher und immer höher. Er mobilisierte noch einmal alle Kräfte und schafft es tatsächlich, aus der Grube zu springen.Oben angekommen fragten ihn die anderen Frösche: ,,Sag hast du uns nicht gehört? Wir hätten nie gedacht, dass es möglich sein könnte, aus der Grube zu springen.“ Schnell stellte sich heraus, dass dieser Frosch schwerhörig war. Er hatte die ganze Zeit gedacht, die anderen feuerten ihn an!


 


 


 

Mit Gott zu Mittag gegessen...

Es war einmal ein kleiner Junge, der unbedingt Gott treffen wollte. Er war sich darüber bewusst, dass der Weg zu dem Ort, an dem Gott lebte, ein sehr langer war. Also packte er sich einen Rucksack voll mit einigen Coladosen und mehreren Schokoladenriegeln und machte sich auf die Reise. Er lief eine ganze Weile und kam in einen kleinen Park. Dort sah er eine alte Frau, die auf einer Bank sass und den Tauben zuschaute, die vor ihr nach Futter auf dem Boden suchten. Der kleine Junge setzte sich zu der Frau auf die Bank und öffnete seinen Rucksack. Er wollte sich gerade eine Cola herausholen, als er den hungrigen Blick der alten Frau sah. Also griff er zu einem Schokoriegel und reichte ihn der Frau. Dankbar nahm sie die Süßigkeit und lächelte ihn an. Und es war ein wundervolles Lächeln! Der kleine Junge wollte dieses Lächeln noch einmal sehen und bot ihr auch eine Cola an. Und sie nahm die Cola und lächelte wieder - noch strahlender als zuvor. Der kleine Junge war selig. Die beiden saßen den ganzen Nachmittag lang auf der Bank im Park, aßen Schokoriegel und tranken Cola - aber sprachen kein Wort. Als es dunkel wurde, spürte der Junge, wie müde er war und er beschloss, zurück nach Hause zu gehen. Nach einigen Schritte hielt er inne und drehte sich um. Er ging zurück zu der Frau und umarmte sie. Die alte Frau schenkte ihm dafür ihr allerschönstes Lächeln. Zu Hause sah seine Mutter die Freude auf seinem Gesicht und fragte: ,,Was hast du denn heute Schönes gemacht, dass du so fröhlich aussiehst?“ Und der kleine Junge antwortete: ,,Ich habe mit Gott zu Mittag gegessen - und sie hat ein wundervolles Lächeln!“ Auch die alte Frau war nach Hause gegangen, wo ihr Sohn schon auf sie wartete. Auch er fragte sie, warum sie so fröhlich aussah. Und sie antwortete: ,,Ich habe mit Gott zu Mittag gegessen - und er ist viel jünger, als ich gedacht habe.“


 


 


 

Auf der Durchreise

Ein junger Mann reiste durch Polen und besuchte einen Rabbi, der für seine große Weisheit berühmt war. Dieser Rabbi lebte in einer bescheidenen Hütte, die nur aus einem einzigen Raum bestand. Auster vielen Büchern, einem Tisch und einer Bank besaß er keine weiteren Möbel. Der junge Mann fragte: ,,Sag Rabbi, wo sind deine Möbel?“ ,,Wo sind denn deine?“ fragte der Rabbi zurück. ,,Meine?“ fragte der junge Mann überrascht. ,,Aber, ich bin doch nur auf der Durchreise!“ ,,Ich auch,“ antwortete der Rabbi ,,ich auch.“


 


 


 

Das Bild vom Frieden

Es war einmal ein König, der schrieb einen Preis im ganzen Land aus: Er lud alle Künstler ein, den Frieden zu malen und das beste Bild sollte eine hohe Belohnung bekommen. Die Künstler im Land machten sich eifrig an die Arbeit und brachten dem König ihre Bilder. Aber von allen Bildern, die gemalt wurden, gefielen dem König nur zwei. Zwischen denen musste er sich nun entscheiden. Das erste war ein perfektes Abbild eines ruhigen Sees. In dem See spiegelten sich die malerischen Berge, die den See umrandeten und man konnte jede kleine Wolke im Wasser wiederfinden. Jeder, der das Bild sah, dachte sofort an den Frieden. Das zweite Bild war ganz anders. Auch hier waren Berge zu sehen, aber diese waren zerklüftet, rau und kahl. Über den Bergen jagten sich am grauen Himmel wütende Wolkenberge und man konnte den Regen fallen sehen, den Blitz auf zucken und fast auch den Donner krachen hören. An dem einen Berg stürzte ein tosender Wasserfall in die Tiefe. Keiner, der das Bild sah, kam auf die Idee, dass es hier um den Frieden ging. Aber der König sah hinter dem Wasserfall einen winzigen Busch, der auf der zerklüfteten Felswand wuchs. In diesem kleinen Busch hatte ein Vogel sein Nest gebaut. Dort in dem wütenden Unwetter an diesem unwirtlichen Ort saß der Muttervogel auf seinem Nest - in perfektem Frieden. Welches Bild gewann den Preis? Der König wählte das zweite Bild und begründete das so: ,,Lasst Euch nicht von schönen Bildern in die Irre führen: Frieden braucht es nicht dort, wo es keine Probleme und keine Kämpfe gibt. Wirklicher Frieden bringt Hoffnung und heißt vor allem, auch unter schwierigsten Umständen und größten Herausforderungen, ruhig und friedlich im eigenen Herzen zu bleiben.“


 


 


 

Schäm dich

Ein Mann kam betrübt zum Meister und begann zu klagen: ,,Herr, die Menschen sind so schlecht.“ Der Alte fragte den Mann: ,,Wie kommst du darauf ?“ ,,Ach Herr, Menschen stehlen, betrügen, morden. Sie verletzen, verlassen einander, beneiden und bekriegen sich. Auch mir wurde schon die Brieftasche gestohlen!“ ,,Alle Menschen? Gibt es keinen Menschen, der nicht schlecht ist?“ Der Mann zögerte nicht lange und rief: ,,Doch natürlich. Da ist meine Frau und mein Bruder. Meine Freunde... Ja, und da seid Ihr Herr.“ ,,Schäm dich! Du bist umgeben von guten Menschen und sagst, sie seien schlecht. Du musst einfach nur glauben was du siehst und nicht nachplappern, was du glaubst!“


 


 


 

Wie viel wiegt das Leben?

Ein Schüler kam zu einem weisen alten Mann. ,,Herr“ sprach er mit schleppender Stimme ,,das Leben liegt wie eine Last auf meinen Schultern. Es drückt mich zu Boden und ich habe das Gefühl, unter dem Gewicht zusammenzubrechen.“ ,,Mein Sohn“ sagte der Alte mit einem liebevollen Lächeln "das Leben ist leicht wie einer Feder.“ ,,Herr, bei aller Demut, aber hier musst du irren. Denn ich spüre mein Leben wie eine Last von tausend Pfunden auf mir. Sag, was kann ich tun?“ ,,Wir sind es selbst, die uns Last auf unsere Schultern laden.“ sagte der Alte, immer noch milde lächelnd. ,,Aber...“ wollte der Junge einwenden. Der alte Mann hob die Hand: ,,Dieses ,,Aber“, mein Sohn, wiegt allein tausend Pfund.“


 


 


 

So anstrengend

Ein Schüler kam zum Meister. „Ach Herr,“ stöhnte er, „um Euren Lehren zu folgen, ist so viel Veränderung nötig. Das ist mir eigentlich alles viel zu anstrengend. Ich glaube, ich werde das Studium hier beenden.“ Da schaute der Alte mit einem traurigen Blick auf seinen Schüler. ,,Kennst du die Geschichte von der Raupe?“ fragte er. Der Schüler verneinte. „Es war einmal eine Raupe, die das Gefühl hatte, dass die Metamorphose zum Schmetterling zu anstrengend sei. Also beschloss sie, Raupe zu bleiben. Und während sie mühsam und langsam durchs Leben kroch, schaute sie immer mal wieder hinauf zu all den Schmetterlingen, die im Sommerwind von Blume zu Blume tanzten...“ erzählte der Meister die Geschichte. „Und nun überleg wohl, ob der scheinbar einfachere Weg auch tatsächlich der einfachere ist.“


 


 


 

Der Suchende

Es war einmal ein Suchender. Er suchte nach einer Lösung für sein Problem, konnte sie aber nicht finden. Er suchte immer heftiger, immer verbissener, immer schneller und fand sie doch nirgends. Die Lösung ihrerseits war inzwischen schon ganz ausser Atem. Es gelang ihr einfach nicht, den Suchenden einzuholen, bei dem Tempo, mit dem er hin- und herraste, ohne auch nur einmal zu verschnaufen oder sich umzusehen. Eines Tages brach der Suchende mutlos zusammen, setzte sich auf einen Stein, legte den Kopf in die Hände und wollte sich eine Weile ausruhen. Die Lösung, die schon gar nicht mehr daran geglaubt hatte, dass der Suchende einmal anhalten würde, stolperte mit voller Wucht über ihn! Und er fing auf, was da so plötzlich über ihn hereinbrach und entdeckte erstaunt, dass er seine Lösung in Händen hielt.


 


 


 

Was ist das Leben
Ein Mann kam zum Meister. „Herr, ich brauche Deinen Rat. Ich bin ein reicher Mann, aber alle wollen mir nur Böses. Das Leben ist ein Kampf.“ „Höre auf zu kämpfen.“ lautete die Antwort des Alten. Der Mann konnte mit dieser Antwort nichts anfangen. Er war wütend und stapfte davon. In den folgenden Monaten kämpfte er mit jedem, der sich ihm näherte und machte sich viele Feinde. Vollkommen erschöpft kam er nach einem Jahr wieder. „Ach Herr, ich mag nicht mehr kämpfen. Das Leben wiegt so schwer - es ist eine Last.“ „Erleichtere dich von dem Gewicht.“ lautete die Antwort. Der Mann war wieder verärgert angesichts dieser Antwort, die er nicht verstand und ging. In dem folgenden Jahr verlor er alles Hab und Gut. Seine Frau verließ ihn und nahm die Kinder mit. Vollkommen mittellos kam er zum Meister. „Herr, das Leben ist keine Last mehr, denn ich habe alles verloren. Das Leben ist ein Elend.“ „Höre auf zu leiden.“ Diesmal war der Mann nur traurig über die Antwort, die ihm nicht weiterhalf. Er ging nicht weit, sondern blieb am Fuße des Berges sitzen, auf dem der Meister wohnte. Er weinte und weinte - tagelang, wochenlang, monatelang. Nachdem keine einzige Träne mehr in ihm war, hob er den Blick. Es war ein früher Morgen und die Sonne ging gerade auf. Er stand auf und ging zum Meister. Diesmal fragte er den Alten „Herr, was ist das Leben?“ Der Meister lächelte liebevoll und sagte zu ihm: „Eine aufgehende Sonne an einem neuen Tag.“


 


 


 

Ein besonderes Geschenk
Eine weise Frau reiste durch die Berge. Eines Tages fand sie dort in einem Bachlauf einen sehr, sehr wertvollen Stein. Am nächsten Tag traf sie einen anderen Wanderer. Der Mann war hungrig und die weise Frau öffnete ihre Tasche, um mit ihm ihr Brot zu teilen. Der Wanderer sah den wundervollen Stein in der Tasche. “Gib mir den Stein“ sagte er. Die Frau reichte dem Mann ohne jedes Zögern den Stein. Der machte sich schnell davon, denn ihm war klar, dass der Stein sehr, sehr wertvoll war und dass er nun den Rest seines Lebens sorgenfrei verbringen konnte. Einige Tage später kam der Mann jedoch zurück zu der weisen Frau und gab ihr den Stein wieder. „Ich habe nachgedacht.“ sagte er. „Ich weiß, wie wertvoll dieser Stein ist. Aber ich gebe ihn dir zurück. Das tue ich in der Hoffnung, dass du mir etwas viel Wertvolleres dafür schenken kannst. Bitte gib mir etwas davon, was es dir möglich machte, mir diesen Stein zu schenken.“


 


 


 

Glück im Unglück
Der einzige Überlebende eines Schiffsunglücks wurde an den Strand einer einsamen und unbewohnten Insel gespült. Tag für Tag hielt er Ausschau nach einem Schiff am Horizont. Nach vielen Tagen ergebnisloser Ausschau nach einem Schiff baute er sich eine kleine Hütte aus Holz. Eines Tages kam er von einem Ausflug auf der Insel zurück und stellte fest, dass seine Hütte in Flammen stand. Er hatte alles verloren und seine Stimmung wechselte zwischen Ärger und Verzweiflung. Am nächsten Morgen wachte er durch das Motorgeräusch eines Bootes auf, das sich der Insel näherte. Man kam, um ihn zu retten. „Woher wusstet ihr, dass ich hier bin?“ fragte er seine Retter. „Wir haben Ihr Rauchsignal gesehen“, antwortete der Kapitän.


 


 


 

Die Quelle in der Wüste
Es herrschte einmal eine große Trockenheit in einem Land südlich der Sahara. Das Steppengras kümmerte dahin; die Tiere fanden kein Wasser mehr; die Wüste kam drohend immer näher. Selbst dicke Bäume und an Dürre gewohnte Sträucher sahen ihrem Ende entgegen. Brunnen waren längst versiegt. Nur eine einzige Blume überlebte die Trockenheit; sie wuchs in der Nähe einer Quelle. Doch auch die Quelle war dem Versiegen nahe. Sie fragte sich voller Traurigkeit und Verzweiflung: Wozu mühe ich mich einer einzigen Blume wegen, wo doch ringsum schon alles verdurstet ist? Da beugte sich ein alter, knorriger Baum über die kleine Quelle und sagte: Liebe, kleine Quelle, niemand erwartet von dir, dass du die ganze Wüste zum Blühen bringst. Deine Aufgabe ist es, einer einzigen Blume Leben zu spenden. Mehr nicht!


 


 


 

Das Versteck der Weisheit

Vor langer Zeit überlegten die Götter, dass es sehr schlecht wäre, wenn die Menschen die Weisheit des Universums finden würden, bevor sie tatsächlich reif genug dafür wären. Also entschieden die Götter, die Weisheit des Universums so lange an einem Ort zu verstecken, wo die Menschen sie solange nicht finden würden, bis sie reif genug sein würden. Einer der Götter schlug vor, die Weisheit auf dem höchsten Berg der Erde zu verstecken. Aber schnell erkannten die Götter, dass der Mensch bald alle Berge erklimmen würde und die Weisheit dort nicht sicher genug versteckt wäre. Ein anderer schlug vor, die Weisheit an der tiefsten Stelle im Meer zu verstecken. Aber auch dort sahen die Götter die Gefahr, dass die Menschen die Weisheit zu früh finden würden.
Dann äußerte der weiseste aller Götter seinen Vorschlag: „Ich weiß, was zu tun ist. Lasst uns die Weisheit des Universums im Menschen selbst verstecken. Er wird dort erst dann danach suchen, wenn er reif genug ist, denn er muss dazu den Weg in sein Inneres gehen.“ Die anderen Götter waren von diesem Vorschlag begeistert und so versteckten sie die Weisheit des Universums im Menschen selbst.


 


 


 

Zwei Engel

Zwei reisende Engel machten Halt, um die Nacht im Hause einer wohlhabenden Familie zu verbringen. Die Familie war unhöflich und verweigerte den Engeln, im Gästezimmer des Haupthauses auszuruhen. Anstelle dessen bekamen sie einen kleinen Platz im kalten Keller. Als sie sich auf dem harten Boden ausstreckten, sah der ältere Engel ein Loch in der Wand und reparierte es. Als der jüngere Engel fragte, warum, antwortete der ältere Engel: „Die Dinge sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen.“ In der nächsten Nacht rasteten die beiden im Haus eines sehr armen, aber gastfreundlichen Bauern und seiner Frau. Nachdem sie das wenige Essen, das sie hatten, mit ihnen geteilt hatten, ließen sie die Engel in ihrem Bett schlafen, wo sie gut schliefen. Als die Sonne am nächsten Tag den Himmel erklomm, fanden die Engel den Bauern und seine Frau in Tränen. Ihre einzige Kuh, deren Milch ihr alleiniges Einkommen gewesen war, lag tot auf dem Feld. Der jüngere Engel wurde wütend und fragte den älteren Engel, wie er das habe geschehen lassen können? „Der erste Mann hatte alles, trotzdem halfst du ihm“, meinte er anklagend. Die zweite Familie hatte wenig, und du ließest die Kuh sterben. „Die Dinge sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen“, sagte der ältere Engel. „Als wir im kalten Keller des Haupthauses ruhten, bemerkte ich, dass Gold in diesem Loch in der Wand steckte. Weil der Eigentümer so von Gier besessen war und sein glückliches Schicksal nicht teilen wollte, versiegelte ich die Wand, so dass er es nicht finden konnte. Als wir dann in der letzten Nacht im Bett des Bauern schliefen, kam der Engel des Todes, um seine Frau zu holen. Ich gab ihm die Kuh anstatt dessen. Die Dinge sind nicht immer das, was sie zu sein scheinen.“


 


 


 

Der Fischer

Einmal kam ein reicher Mann aus einer großen Stadt in ein abgelegenes und armseliges Fischerdorf. In dem Fischerdorf sah er am Strand eine Fischerhütte, vor der ein alter Mann saß, der Pfeife rauchte und aufs Meer schaute. Der reiche Mann ging auf ihn zu und setzte sich neben ihn. „Warum sitzt du hier und schaust aufs Meer? Warum fährst du nicht mit deinem Boot raus und fängst Fische“? fragte er. ,,Ich war heute schon draußen. Für heute habe ich genug Fische gefangen“ sagte der Alte und schaute aufs Meer. Der reiche Mann überlegte kurz und sagte dann: ,,Aber wenn du heute nochmal raus fahren würdest, könntest du morgen dann zu Hause bleiben! Überleg mal, und wenn du morgen wieder zweimal raus fahren würdest, könntest du deine Fische sogar verkaufen! Und von dem Geld könntest du dir ein größeres Boot kaufen, mit dem du noch mehr Fische fangen könntest, mit dem Geld davon könntest du irgendwann Leute anstellen, die für dich fischen und du müsstest nie mehr in deinem Leben rausfahren!“
Der Fischer überlegte lange und rauchte seine Pfeife, dann fragte er: „Und was würde ich dann tun, wenn ich nie mehr rausfahren müsste?“ „Du könntest den ganzen Tag hier am Strand sitzen und das tun was du willst“ sagte der reiche Mann. Da nahm der Fischer die Pfeife aus dem Mund und schaute ihn verwundert an. „Das kann ich auch jetzt schon tun...“


 


 


 

Zwei Freunde

Zwei Freunde wanderten durch die Wüste. Während der Wanderung kam es zu einem Streit und der eine schlug dem anderen im Affekt ins Gesicht. Der Geschlagene war gekränkt. Ohne ein Wort zu sagen, kniete er nieder und schrieb folgende Worte in den Sand: „Heute hat mich mein bester Freund ins Gesicht geschlagen.“ Sie setzten ihre Wanderung fort und kamen bald darauf zu einer Oase. Dort beschlossen sie beide, ein Bad zu nehmen. Der Freund, der geschlagen worden war, blieb auf einmal im Schlamm stecken und drohte zu ertrinken. Aber sein Freund rettete ihn buchstäblich in letzter Minute. Nachdem sich der Freund, der fast ertrunken war, wieder erholt hatte, nahm er einen Stein und ritzte folgende Worte hinein: ,,Heute hat mein bester Freund mir das Leben gerettet.“ Der Freund, der den anderen geschlagen und auch gerettet hatte, fragte erstaunt: „Als ich dich gekränkt hatte, hast du deinen Satz nur in den Sand geschrieben, aber nun ritzt du die Worte in einen Stein. Warum?“ Der andere Freund antwortete: „Wenn uns jemand gekränkt oder beleidigt hat, sollten wir es in den Sand schreiben, damit der Wind des Verzeihens es wieder auslöschen kann. Aber wenn jemand etwas tut, was für uns gut ist, dann können wir das in einen Stein gravieren, damit kein Wind es jemals löschen kann.“


 


 


 

Die drei Siebe

Zum weisen Sokrates kam einer gelaufen und sagte: „Höre Sokrates, das muss ich Dir erzählen!“ „Halte ein!“ - unterbrach ihn der Weise, „hast Du das, was Du mir sagen willst, durch die drei Siebe gesiebt?“ „Drei Siebe?“, frage der andere voller Verwunderung. „Ja guter Freund! Las sehen, ob das, was Du mir sagen willst, durch die drei Siebe hindurchgeht: Das erste ist die Wahrheit. Hast Du alles, was Du mir erzählen willst, geprüft, ob es wahr ist?“ „Nein, ich hörte es erzählen und...“ „ So, so! Aber sicher hast Du es im zweiten Sieb geprüft. Es ist das Sieb der Güte. Ist das, was Du mir erzählen willst gut?“ Zögernd sagte der andere: „Nein, im Gegenteil...“ „Hm...“, unterbracht ihn der Weise, „so las uns auch das dritte Sieb noch anwenden. Ist es notwendig, dass Du mir das erzählst?“ „Notwendig nun gerade nicht...“ „Also“ sagte lächelnd der Weise, „wenn es weder wahr noch gut noch notwendig ist, so las es begraben sein und belaste Dich und mich nicht damit.“


 


 


 

Das Geheimnis der Zufriedenheit

Es kamen einmal ein paar Suchende zu einem alten Zenmeister.
„Herr“, fragten sie „was tust du, um glücklich und zufrieden zu sein? Wir wären auch gerne so glücklich wie du.“ Der Alte antwortete mit mildem Lächeln: „Wenn ich liege, dann liege ich. Wenn ich aufstehe, dann stehe ich auf. Wenn ich gehe, dann gehe ich und wenn ich esse, dann esse ich.“ Die Fragenden schauten etwas betreten in die Runde. Einer platzte heraus: „Bitte, treibe keinen Spott mit uns. Was du sagst, tun wir auch. Wir schlafen, essen und gehen. Aber wir sind nicht glücklich. Was ist also dein Geheimnis?“ Es kam die gleiche Antwort: „Wenn ich liege, dann liege ich. Wenn ich aufstehe, dann stehe ich auf. Wenn ich gehe, dann gehe ist und wenn ich esse, dann esse ich.“ Die Unruhe und den Unmut der Suchenden spürend fügte der Meister nach einer Weile hinzu: „Sicher liegt auch Ihr und Ihr geht auch und Ihr esst. Aber während Ihr liegt, denkt Ihr schon ans Aufstehen. Während Ihr aufsteht, überlegt Ihr wohin Ihr geht und während Ihr geht, fragt Ihr Euch, was Ihr essen werdet. So sind Eure Gedanken ständig woanders und nicht da, wo Ihr gerade seid. In dem Schnittpunkt zwischen Vergangenheit und Zukunft findet das eigentliche Leben statt. Lasst Euch auf diesen nicht messbaren Augenblick ganz ein und Ihr habt die Chance, wirklich glücklich und zufrieden zu sein.“


 


 


 

Zündholz und Kerze

Es kam der Tag, da sagte das Zündholz zur Kerze: „Ich habe den Auftrag, dich anzuzünden.“ „Oh nein“, erschrak die Kerze, „nur das nicht. Wenn ich brenne, sind meine Tage gezählt. Niemand mehr wird meine Schönheit bewundern.“ Das Zündholz fragte: „Aber willst du denn ein Leben lang kalt und hart bleiben, ohne zuvor gelebt zu haben?“ „Aber brennen tut doch weh und zehrt an meinen Kräften“, flüstert die Kerze unsicher und voller Angst.
„Es ist wahr“, entgegnete das Zündholz. „Aber das ist doch das Geheimnis unserer Berufung: Wir sind berufen, Licht zu sein. Was ich tun kann, ist wenig. Zünde ich dich nicht an, so verpasse ich den Sinn meines Lebens. Ich bin dafür da, Feuer zu entfachen.Du bist eine Kerze. Du sollst für andere leuchten und Wärme schenken. Alles, was du an Schmerz und Leid und Kraft hingibst, wird verwandelt in Licht. Du gehst nicht verloren, wenn du dich verzehrst. Andere werden dein Feuer weiter tragen. Nur wenn du dich versagst, wirst du sterben.“ Da spitzte die Kerze ihren Docht und sprach voller Erwartung: „Ich bitte dich, zünde mich an!“


 


 


 

Erleuchtung

Ein Universitätsstudent, der Gasan besuchte, fragte ihn: „Haben Sie jemals die christliche Bibel gelesen?“ „Nein, lies sie mir vor“, sagte Gasan. Der Student öffnete die Bibel und las aus dem Matthäus-Evangelium: „Und warum sorgt ihr euch um Kleidung? Betrachtet die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen; sie arbeiten nicht und spinnen nicht, und doch sage ich euch: Selbst Salomon in all seiner Pracht war nicht gekleidet wie eine von ihnen . . . Sorgt euch darum nicht ängstlich um den morgigen Tag, denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen.“ Gasan sagte: „Wer solche Worte aussprach, ist meiner Meinung nach ein erleuchteter Mensch.“ Der Student fuhr fort zu lesen: „Bittet, und es wird euch gegeben werden; suchet, und ihr werdet finden, klopfet an, und es wird euch aufgetan werden. Denn wer bittet, empfängt; wer suchet, der findet; wer anklopft, dem wird aufgetan werden.“ Gasan bemerkte: „Das ist ausgezeichnet. Wer das sagte, ist nicht fern der Buddhaschaft.“


 


 


 

Der Dieb

Ryokan, ein Zen-Meister, führte das allereinfachste Leben in einer kleinen Hütte am Fuß eines Berges. Eines Abends durchwühlte ein Dieb die Hütte, mußte jedoch feststellen, daß nichts zum Stehlen da war. Ryokan kam nach Hause zurück und ertappte ihn. „Du bist wohl einen langen Weg gegangen, um mich zu besuchen“, sagte er zu dem Vagabunden, „und du sollst nicht mit leeren Händen weggehen. Bitte, nimm meine Kleider als Geschenk.“ Der Dieb war verblüfft. Er nahm die Kleider und machte sich davon. Ryokan saß nackt da und betrachtete den Mond. „Armer Kerl“, murmelte er, „ich wollte, ich könnte ihm diesen wunderschönen Mond geben.“


 


 


 

Weisheit

Sokrates wurde einmal gefragt, wie man Weisheit erwerben könne. Er sagte: „Komm mit!“ und führte den Schüler zu einem Fluss, tauchte ihn unter und lies den fast Ertrinkenden dann wieder frei.
Als der Schüler sich wieder erholt hatte, fragte ihn Sokrates: „Wonach hast du dich gerade am meisten gesehnt?“ „Nach Luft“, antwortete der Schüler. Darauf erklärte Sokrates: „Sobald du Weisheit eben so sehr ersehnst wie - als du zu ersticken glaubtest - die Luft zum Atmen, wirst du sie erlangen.“


 


 


 

Himmel und Hölle
Ein großer, harter Samurai ging einmal einen kleinen Mönch besuchen. „Mönch“, sagte er in einem Ton, der sofortigen Gehorsam gewohnt ist, „lehre mich etwas über Himmel und Hölle!“ Der Mönch sah zu dem mächtigen Krieger auf und entgegnete voller Verachtung: „Dich etwas über Himmel und Hölle lehren? Überhaupt nichts kann ich dich lehren. Du bist schmutzig. Du stinkst. Deine Klinge ist rostig. Du bist eine Scham und Schande für die Klasse der Samurais. Geh mir aus den Augen. Ich kann dich nicht ertragen.“ Der Samurai war wütend. Er zitterte, wurde ganz rot im Gesicht, war sprachlos vor Wut. Er zog sein Schwert und hob es in die Höhe, um den Mönch damit zu erschlagen. „Das ist die Hölle“, sagte der Mönch sanft. Der Samurai war überwältigt. Das Mitgefühl und die Ergebenheit dieses kleinen Mannes, der sein Leben hergab, um ihm diese Lehre zu geben und ihm die Hölle zu zeigen! Langsam senkte er sein Schwert, erfüllt von Dankbarkeit und plötzlichem Frieden.
„Und das ist der Himmel“, sagte der Mönch sanft.


 


 


 

Erklärung der Meditation
Ein Schüler fragte seinen Meister, wie er meditieren solle. Schließlich antwortete der Meister: „Es ist so: Wenn ein vergangener Gedanke aufgehört hat und ein zukünftiger Gedanke noch nicht entstanden ist, gibt es da nicht eine Lücke?“ ,,Ja“, sagte der Schüler. „Nun gut, verlängere sie! Das ist Meditation.“


 


 


 

Die 4 Mönche

„Die Kerze ist ausgegangen!“ ruft der jüngste Mönch. „Du darfst nicht sprechen! Wir sind im Sesshin, und da herrscht absolutes Schweigen“, fährt ihn ein älterer Mönch an. „Und Du? Warum sprichst du, statt zu schweigen, wie wir vereinbart haben?“ bemerkte der dritte Mönch spitz. „Ich bin der einzige, der nicht gesprochen hat!“ sagte zufrieden der vierte Mönch.


 


 


 

Eile

Ein junger Mann suchte einen Zen-Meister auf. ,,Meister, wie lange wird es dauern, bis ich Befreiung erlangt habe?“ ,,Vielleicht zehn Jahre“, entgegnete der Meister. ,,Und wenn ich mich besonders anstrenge, wie lange dauert es dann?“, fragte der Schüler. ,,In dem Fall kann es zwanzig Jahre dauern“, erwiderte der Meister. ,,Ich nehme aber wirklich jede Härte auf mich. Ich will so schnell wie möglich ans Ziel gelangen“, beteuerte der junge Mann. ,,Dann“, erwiderte der Meister, ,,kann es bis zu vierzig Jahre dauern.“


 


 


 

Die große Suche

„Meister, zeige mir den Eingang zum Zen.“ "Hörst du das Rauschen des Bachs?“ „Ja.“ „Dort ist der Eingang zum Zen.“


 


 


 

Meister Ikkyu

Eines Tages fragte ein Mann den Zen-Meister Ikkyu: „Meister, wollt Ihr mir bitte einige Grundregeln der höchsten Weisheit aufschreiben?“ Ikkyu griff sofort zu Pinsel und Papier und schrieb: „Aufmerksamkeit“. "Ist das alles?", fragte der Mann. „Wollt Ihr nicht noch etwas hinzufügen?“ Ikkyu schrieb daraufhin: „Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit.“ „Nun“, meinte der Mann ziemlich gereizt, „ich sehe wirklich nicht viel Tiefes oder Geistreiches in dem, was Du gerade hinzugefügt hast.“ Da nahm Ikkyu den Pinsel und schrieb: „Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit, Aufmerksamkeit.“ Verärgert wollte der Mann nun wissen: „Was bedeutet dieses Wort Aufmerksamkeit überhaupt?“ Und Ikkyu antwortete sanft: „Aufmerksamkeit bedeutet Aufmerksamkeit.“


 


 


 

Eine schwere Last

Zwei Mönche auf Wanderschaft kamen in eine Stadt, wo eine junge Frau in ihrer Sänfte darauf wartete, aussteigen zu können. Der Regen hatte tiefe Pfützen hinterlassen und sie konnte sie nicht überqueren, ohne ihre Seidengewänder zu beschmutzen. Sie machte ein sehr ärgerliches Gesicht und war ungehalten. Sie schalt ihre Diener. Diese waren jedoch mit Paketen beladen und konnten sie nirgends abstellen. Also konnten sie ihr auch nicht über die Pfütze helfen. Der jüngere Mönch bemerkte die Frau, sagte nichts und ging weiter. Der ältere Mönch hob sie rasch von der Sänfte, packte sie auf seinen Rücken, trug sie über das Wasser und setzte sie auf der anderen Seite wieder ab. Ohne sich bei dem älteren Mönch zu bedanken, stieß sie ihn aus dem Weg und ging davon.
Als die beiden sich wieder auf den Weg machten, war der junge Mönch nachdenklich und brütete vor sich hin. Nach ein paar Stunden konnte er nicht länger schweigen und sagte: ,,Diese Frau war sehr egoistisch und unhöflich, aber du hast sie auf den Rücken genommen und getragen! Dann hat sie sich nicht einmal bei dir bedankt!" ,,Es ist Stunden her, dass ich die Frau abgesetzt habe“, antwortete der ältere Mönch. ,,Warum trägst du sie immer noch mit dir herum?“


 


 


 

Die Wasserschüssel

Es war einmal eine alte chinesische Frau, die zwei große Schüsseln hatte, die von den Enden einer Stange hingen, die sie über ihren Schultern trug. Eine der Schüsseln hatte einen Sprung, während die andere makellos war und stets eine volle Portion Wasser fasste. Am Ende der lange Wanderung vom Fluss zum Haus der alten Frau war die andere Schüssel jedoch immer nur noch halb voll. Zwei Jahre lang geschah dies täglich: die alte Frau brachte immer nur anderthalb Schüsseln Wasser mit nach Hause. Die makellose Schüssel war natürlich sehr stolz auf ihre Leistung, aber die arme Schüssel mit dem Sprung schämte sich wegen ihres Makels und war betrübt, dass sie nur die Hälfte dessen verrichten konnte, wofür sie gemacht worden war. Nach zwei Jahren, die ihr wie ein endloses Versagen vorkamen, sprach die Schüssel zu der alten Frau: „Ich schäme mich so wegen meines Sprungs, aus dem den ganzen Weg zu deinem Haus immer Wasser läuft.“ Die alte Frau lächelte. „Ist dir aufgefallen, dass auf deiner Seite des Weges Blumen blühen, aber auf der Seite der anderen Schüssel nicht?“ „Ich habe auf deiner Seite des Pfades Blumensamen gesät, weil ich mir deines Fehlers bewusst war. Nun gießt du sie jeden Tag, wenn wir nach Hause laufen. Zwei Jahre lang konnte ich diese wunderschönen Blumen pflücken und den Tisch damit schmücken. Wenn du nicht genauso wärst, wie du bist, würde diese Schönheit nicht existieren und unser Haus beehren.“
Jeder von uns hat seine ganz eigenen Macken und Fehler, aber es sind die Macken und Sprünge, die unser Leben so interessant und lohnenswert machen. Man sollte jede Person einfach so nehmen, wie sie ist und das Gute in ihr sehen. Also, an all meine Freunde mit einem Sprung in der Schüssel, habt einen wundervollen Tag und vergesst nicht, den Duft der Blumen auf eurer Seite des Pfades zu genießen.


 


 


 

Der Streit

Vier Männer, ein Perser, ein Türke, ein Araber und ein Grieche waren unterwegs zu einem fernen Ort. Sie stritten sich, wie sie das einzige Geldstück, das sie noch besaßen, ausgeben sollten. Ich möchte Angur kaufen, sagte der Perser. Ich will Uzum, meinte der Türke. Nein, ich will Inab, sagte der Araber. Ach was, sagte der Grieche, wir sollten Stafil kaufen. Und sie stritten sich heftig. Ein anderer Reisender, ein Sufi, der gerade vorüber kam, sprach sie an: Gebt mir die Münze. Ich werde einen Weg finden, euer aller Wünsche zu befriedigen. Zuerst wollten sie ihm nicht trauen, dann gaben sie ihm die Münze. Er ging zum Stand eines Obsthändlers und kaufte vier Büschel Weintrauben. Da ist ja mein Angur, sagte der Perser. Das ist doch genau das, was ich Uzum nenne, rief der Türke. Sie haben mir Inab gebracht, sagte der Araber. Ach was, sagte der Grieche, in meiner Sprache heißt das Stafil. Die Männer ließen jeden Streit sein und teilten sich die Weintrauben.


 


 


 

Selbstherrlichkeit

Ein buddhistischer Mönch war mit seinen Schülern zu Fuß unterwegs, als er bemerkte, dass sie untereinander darüber stritten, wer von ihnen der Beste sei. „Ich meditiere seit 15 Jahren“, sagte einer. „Ich war wohltätig, seit ich mein Elternhaus verlassen habe“, sagte ein anderer. „Ich habe stets de Lehren Buddhas verfolgt“, sagte ein dritter. Mittags rasteten sie unter einem Apfelbaum. Dieser war so voll mit Früchten, dass die Äste sich fast zu Boden neigten. Der Meister sagte: „Wenn ein Baum mit Früchten beladen ist, beugen sich seine Äste zu Boden. Wahrhaft weise ist der Demütige. Wenn ein Baum keine Früchte trägt, sind seine Äste überheblich und stolz. Und auch der Törichte glaubt immer, er sei besser als der andere.“


 


 


 

Die Schnur des König Akbar

Der indische König Akbar verfügte über einen Stab ergebener Minister. Diese waren allesamt scharfsinnige Menschen und ausgewiesene Fachleute, jedoch stritten sie oft heftig in der Sache und versuchten einander mit klugen Reden zu überzeugen ohne übereinzukommen. Eines Tages rief der weise König Akbar seine Minister zu sich. Er zeigte mit der Hand auf eine gespannte gerade Schnur und forderte seine Minister auf: „Seht ihr diese Schnur? Eure Aufgabe sei es, sie zu verkürzen, jedoch ohne sie zu verknoten oder zu beschneiden, noch sie sonst zu berühren. Verkürzt sie auf eine andere Art und Weise!“ Die Minister blickten wortlos auf die Schnur, rieben sich den Bart und wunderten sich, wie die Schur verkürzt werden könnte, ohne abgeschnitten oder auch nur angetastet zu werden. Selbst den Klügsten unter ihnen wollte nicht einfallen, wie diese schwierige Aufgabe gelöst werden könne. „Dies ist ein unmögliches Unterfangen“. sagten sie. Kein Mensch sei imstande dieses Rätsel zu lösen. Da erhob sich der König, zog wortlos eine zweite, längere Schnur hervor und spannte sie neben die erste. Durch diese zweite, längere Schnur wurde die erste automatisch verkürzt ohne verknotet oder abgeschnitten worden zu sein. „Seht her!“, sagte der König. „Wir sollten die Meinung eines anderen weder antasten noch beschneiden, sondern nur unsere eigene Schnur daneben spannen. Dann möge der andere entscheiden, was länger und was kürzer, was besser oder schlechter ist. Wir sollen nicht für den anderen entscheiden, wir sollten ihm nur unsere eigene Wahrheit darlegen.“


 


 


 

Der Brunnenfrosch

Eines Tages kam ein Frosch vom Meer zu Besuch. „Wo kommst du her?“ fragte der Brunnenfrosch. „Vom großen Ozean“, erwiderte der andere. „Wie groß ist dein Ozean?“ „Er ist riesig!“
„Etwa ein Viertel meines Brunnens?“ „Größer.“ „Größer? Du meinst - halb so groß?“ „Nein, noch größer.“ „Ist er etwa ... genauso groß, wie dieser Brunnen?“ „Kein Vergleich!“ „Das ist unmöglich! Das muß ich selber sehen.“ So machten sie sich zusammen auf zum Meer. Als der Brunnenfrosch den Ozean erblickte, war der Schock so groß, dass ihm der Kopf zersprang.


 


 


 

Alles Ansichtssache
Eines Tages nahm ein Vater seinen Sohn mit auf einen Ausflug aufs Land um zu zeigen, wie arm Menschen sein können. Sie verbrachten den Tag und eine Nacht auf dem Bauernhof einer sehr armen Familie. Als sie von ihrem Ausflug zurück waren, fragte der Vater seinen Sohn: „Nun, mein Junge, wie war der Ausflug?“ „Schön, Papa!“ „Und hast du auch mitbekommen, wie arm Menschen sein können?“, fragte der Vater. „Ja!“ „Und was hast du daraus gelernt?“ Der Sohn antwortete: „Ich habe gesehen, dass wir einen Hund bei uns zu Hause haben und dort haben sie vier. Wir haben einen Swimmingpool, sie haben einen Bach, der bis zum Horizont reicht. Wir haben aus dem Ausland importierte Lampen im Garten, sie haben die Sterne. Unsere Terrasse reicht bis zum Vorgarten, sie sehen den Himmel.“Als der Junge das gesagt hatte, war der Vater sprachlos. Und dann fügte sein Sohn noch hinzu: „Danke, Papa, dass du mir gezeigt hast, wie arm WIR sind.“

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